Das Geheimnis Des Kalligraphen
Monaten schuldig geblieben sei.
Salman und alle Nachbarn im Gnadenhof wussten jedoch, dass der Geizkragen log. Allein die getrockneten Kräuter, das Olivenöl und die exotischen Früchte, die nun sein Eigentum waren, glichen die Miete für ein Jahr aus.
29.
M eister Hamid unterschätzte die Fanatiker. Er war selbst kein religiöser Mensch. Er glaubte zwar, dass irgendein mächtiges Wesen hinter der Schöpfung stand, und er war stolz bis in die kleinste Ecke seiner Seele, dass Gott eine solch besondere Zuneigung für die arabische Sprache empfand, dass er seinem Propheten Muhammad denKoran in dieser Sprache diktiert hatte. Aber ansonsten waren ihm alle Religionen gleichgültig, und Frömmigkeit und übertriebener Glaube waren für ihn Grundpfeiler der Einfalt. Er achtete aber Juden mehr als Christen, weil er große Parallelen zwischen Judentum und Islam fand, während Christen arrogant und unbelehrbar daran festhielten, dass Gott ihnen einen Sohn gezeugt hatte, der Wein trank und sich kreuzigen ließ. Und dieser Jesus forderte von seinen Anhängern auch noch, den Feind zu lieben.
Hamid ging selten in die Moschee. Aber das änderte sich plötzlich Anfang Januar 1956, als sein altehrwürdiger Meister und Lehrer Serani ihm empfahl, freitags in die Omaijaden-Moschee zu kommen. Dort trafen sich angesehene Theologen, Politiker, die bekanntesten Händler und auch einflussreiche Clan-Oberhäupter. Serani sorgte sich um seinen Lieblingsschüler Hamid. »Die Leute tuscheln über deine Pläne, und langsam nimmt das Züge an, die mir nicht gefallen. Komm am Freitag mit in die Moschee und sie werden sehen, dass du ein guter Muslim bist.« Hamid rührte die Fürsorge des alten Mannes und er beschloss, von nun an jeden Freitag in der großen Moschee zu beten.
Schon kurz darauf, im Frühjahr 1956, erkannte er die Weisheit seines Meisters. Große Männer der Theologie, Wissenschaft und Politik luden ihn zum Tee ein, staunten über seine radikale Befürwortung von Schleier und Kopftuch und mussten eingestehen, dass sie ein völlig anderes Bild von ihm gehabt hatten.
Im Mai protzte er in dieser Runde, dass er einen großen Auftrag für die katholische Kirche abgelehnt habe und in Kürze zum ersten Mal nach Mekka pilgern würde. Nur seine Mitarbeiter nahmen ihm die neue Frömmigkeit nicht ab.
»Wahrscheinlich steht ein großer Auftrag für die Saudis bevor«, vermutete Samad hinter vorgehaltener Hand. Aber auch die anderen Gesellen hatten Zweifel an der Echtheit der neuen Religiosität ihres Chefs, der sich, wie Mahmud behauptete, jeden Donnerstag mit drei anderen Kalligraphen in einem kleinen exklusiven Puff im neuen Stadtteil treffe.
»Donnerstags spielt er doch Karten«, warf Samad ein.
»Ja, aber nicht in einem Café, sondern bei Madame Juliette. Das hat mir mein Cousin verraten, der bei einem dieser Kalligraphen gearbeitet hat und in der Nähe dieser Matrone wohnt. Sie spielen jeden Donnerstag, und der Gewinner der Runde darf sich auf Kosten der anderen eine Hure aussuchen.«
Im Herbst 1956 war sich Hamid Farsi sicher, alle angesehenen Männer der Stadt, auch die strengsten Theologen, davon überzeugt zu haben, wie wichtig die Pflege der Kalligraphie sei. Er sprach mit ihnen kein Wort über Reformen, und trotzdem blieben die meisten bei aller Freundlichkeit seinem Projekt gegenüber reserviert. Dennoch war er davon überzeugt, die konservativen Theologen hätten ihre Hunde, »die Reinen«, fest an der Leine.
Er überschätzte aber den Einfluss dieser liberalen Theologen auf die Fanatiker im Untergrund. Zwei Wochen nachdem Farsi den Mietvertrag für die Kalligraphieschule unterschrieben hatte, betrat ein bärtiger Mann das Büro Nassri Abbanis und fragte trocken, wo der »Ladenbesitzer« sei. Taufiq musste an sich halten, um nicht loszuprusten. »Ich bin der Laufbursche in diesem Laden, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Dein Herr hat einen Fehler begangen. Wir haben nichts gegen seine Sippe, aber er hat mit seinem Geld Hamid Farsis Teufelswerk unterstützt. Er soll davon ablassen und das Geld lieber armen Muslimen geben oder es für die Renovierung unserer Moscheen spenden, dann passiert ihm nichts.« Der Mann sprach ohne jede Regung und rief bei Taufiq große Angst hervor. Er fürchtete kalte Typen wie ihn seit seiner Kindheit. Sie verstanden wenig und schreckten vor nichts zurück, weil sie in ihrer Verblendung mit einem Fuß bereits im Paradies standen. Keine Wissenschaft der Welt konnte Krieger besser
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