Das Geheimnis Des Kalligraphen
böse Jungen mich berauben wollten, tapfer gerettet, sieh dir seine Narben an.«
»Aber ... «, wollte Salman protestieren.
»Kein aber, Aini und ich, wir leben seit Jahren in Harmonie miteinander. Er ist mein fürsorglicher Bruder, der sogar mit mir weint, wenn ich traurig bin.«
»Ist schon gut. Ich habe verstanden«, sagte Salman. »Ich überlasse dir den Hund und mache dir ein Geschenk dazu. Du nennst ihn von heute an Flieger, und ich zeige dir ein Kaffeehaus, ein sehr vornehmes im reichen Suk-Saruja-Viertel, nicht weit von hier. Flieger hat dem Wirt Karam einmal das Leben gerettet. Er kennt und liebt den Hund. Jeden Mittag Punkt zwölf erhältst du dort eine Mahlzeit, und Flieger auch. Einverstanden? Karam ist ein großzügiger Mann, aber nur, wenn du den Hund in Zukunft Flieger rufst.«
»Einverstanden, für eine warme Mahlzeit nenne ich mich auch Flieger. Seit Tagen habe ich keine gehabt. Wie heißt das Kaffeehaus?«
»Café Karam. Ich bin dort zwischen zwölf und halb eins«, sagte Salman und streichelte Flieger, der, beruhigt über den versöhnlichen Ton, vor sich hin döste.
Karam war wie verwandelt. Er wollte weder von Flieger noch von dem Bettler etwas wissen. Er weigerte sich lautstark, ein Essen zu spendieren.
Als Karam Salman kommen sah, schüttelte er den Kopf, dann schnappte er ihn am Hemd und zog ihn ins Café hinein, während Darwisch den Bettler etwas höflicher als sein Chef bat, doch weiterzugehen und die Gäste nicht mit dem Hund zu belästigen. Heimlich steckte er ihm ein Falafelbrot zu.
»Bist du wahnsinnig, mir diesen verlausten Bettler und seinen räudigen Hund ins Café zu schicken?«, fauchte Karam Salman an.
Salman war schockiert und beschämt zugleich, er wollte fragen, was daran so schlimm sei, wenn ein Bettler einmal im Café sitzen dürfe, aber Karam ließ ihm keine Möglichkeit. »Du sollst den Mund halten. Weißt du, wer alles hier verkehrt? Hast du nicht lange genug hier bedient? Leute aus den besten Kreisen, ehemalige Minister, der jetzige Ministerpräsident, sein Cousin, Juweliere, Professoren, Gelehrte, der Scheich der Omaijaden-Moschee, mehrere Generäle zählen zu meinen Stammgästen, und dir fällt nichts Besseres ein, als mir diesen frechen Bettler zu schicken. Geh hinaus und schlepp diesen Lautsprecher weg von meinem Café«, rief er aufgebracht. Genau in diesem Augenblick hörte Salman den Bettler seinen Hund rufen: »Komm, Aini, hier stinkt es nach Geiz und Verwesung. Gott bestrafe den, der uns reingelegt hat. Komm, Aini, komm«, rief er und machte sich auf den Weg.
Salman weinte vor Wut. Er hasste Meister Hamid, der ihm am Vormittag keine Minute Ruhe gegönnt hatte, er hasste Karam, der ein solches Theater veranstaltete, aber am meisten hasste er sich selbst.
Flieger sah er nie wieder.
Salman benutzte das Fahrrad nur für die Mittagstour zum Haus seines Meister und zurück. Er hätte es gerne einmal im Gnadenhof gezeigt, aber er hatte Sorge, verraten zu werden, da Basem und Ali, die im Atelier arbeiteten, nicht einmal hundert Meter von seiner Gasse entfernt wohnten.
Mit dem Fahrrad sah Salman die Stadt Damaskus anders als zu Fuß oder vom Bus aus. Auf einmal waren ihm die vielen Ausländer aufgefallen,die in der Stadt arbeiteten. Eines Tages sah er einen Bauern, der hinter seinem kräftigen und schwer beladenen Maulesel herlief. Man konnte das Tier unter den langen Stämmen und Ästen kaum sehen. Mit schläfriger Stimme rief der Bauer immer wieder: »Brennholz! Gebt acht auf euren Rücken! Brennholz!«
Von seinem Vater wusste Salman, dass die Bauern das Holz der alten und kranken Bäume verkauften, weil es gutes Geld einbrachte. Sie selbst verbrannten nur getrocknete Fladen aus Kuhdung und Stroh.
Der Bauer erreichte eine Kreuzung, in deren Nähe drei Männer, gestützt auf riesenhafte Beile, rauchten und scherzten.
Als eine Frau zwei Stämme kaufte, trat einer der Männer hinzu und zerhackte das Holz. Er kam aus Albanien und verdiente hier seinen kargen Lohn.
Die Messerschleifer in Damaskus kamen aus Afghanistan, die Uhrmacher waren Armenier, die Teppichhändler Perser und die Nussverkäufer auf der Straße waren aus dem Sudan.
Anfang Februar besserte sich das Wetter, und nach ein paar sonnigen Tagen atmeten die Damaszener auf. Auch Salmans Mutter fühlte sich wohler. Sie stand auf, hatte rote Wangen und tausend Pläne. Der Arzt mahnte sie aber, ihre Kräfte zu schonen.
Eines Morgens überraschte ihn seine Mutter beim Frühstück. »Weißt
Weitere Kostenlose Bücher