Das Geheimnis Des Kalligraphen
ab morgen nicht mehr arbeiten können«, sagte Karam und lächelte vielsagend. Salman war an diesem Tag besonders zerstreut. Nura hatte in einem Nebensatz erwähnt, sie kenne jemanden, der einem für hundert Lira echte Papiere besorge und eine neue Identität verschaffe.
Wie kann jemand echte Papiere mit anderen Namen besorgen, wollte er fragen. Bis dahin hatte er nur von guten und schlechten Fälschungen gehört. »Anscheinend«, fuhr Nura fort, als hätte sie seine Frage gehört, »hat er Zugriff auf die Daten im Einwohnermeldeamt und kann Tote wiedererwecken oder Menschen verdoppeln.«
Salman war noch immer mit den Fragen beschäftigt, die diese Geschichte von der zweiten Identität aufwarf, und es war ihm ziemlich gleichgültig, ob der Grobian Mahmud krank war oder nicht.
Erst am nächsten Tag sollte er feststellen, dass er weder zugehört, geschweige denn verstanden hatte, was Karam gesagt hatte.
Der Kalligraphengeselle wurde in der Nacht vom dritten Januar von vier muskulösen bärtigen Männern überfallen. Sie schlugen erbarmungslos auf ihn ein und riefen bei jedem Hieb: »Allahu Akbar« , Gott ist groß, als ob sie dabei einer religiösen Übung nachgingen. Und dann zerschmetterte ihm der größte unter ihnen die rechte Hand mit einem Vorschlaghammer.
Hätte nicht ein Passant den leise wimmernden Mann im dunklen Eingang einer Lagerhalle entdeckt, Mahmud wäre an seinen inneren Blutungen gestorben. Doch nicht genug damit, ein Unbekannter rief am frühen Morgen bei Hamid an und teilte ihm mit, sein Geselle solle versucht haben, eine junge Frau zu vergewaltigen. Deshalb hätten ihre Brüder ihm die Hand gebrochen, mit der er die Frau angefasst habe.
Hamid warf den Hörer so schnell auf die Gabel, als würde dieser seine Hand verbrennen. Er verlor zunächst kein Wort über den Überfall, doch einen Tag später wussten alle im Atelier Bescheid. Meister Hamid war zu einer Sitzung mit dem Kultusminister gegangen, und als das Telefon klingelte, nahm Samad ab.
Es war Mahmuds Frau, die Samad unter Tränen mitteilte, dass ihr Mann nun – Gott sei Dank – nicht mehr in Lebensgefahr schwebe. Aber seine rechte Hand könne er nie wieder gebrauchen. Sie weinte bitterlich, weil alle im Krankenhaus wüssten, dass Mahmud die Strafe wegen einer Vergewaltigung bekommen hatte. Jetzt verachtete man sie beide gleichermaßen.
Samad sprach zwei, drei tröstende Sätze und legte auf. Salman war hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit gegenüber Karam, der bei dieser Lektion mit Sicherheit die Fäden gezogen hatte, und Abscheu wegen der Brutalität der Strafe, die auch Mahmuds Familie mitbestrafte, da sie nun in Armut leben musste. Was für ein grausames Spiel spielte Karam?
An diesem traurigen Tag erbrach sich der Geselle Radi zum ersten Mal. Man verheimlichte es dem Meister. Es sah nicht gut aus, aber Radi richtete sich in den nächsten Tagen wieder etwas auf. Salman half ihm mit Kräutertees, wenn der blasse Radi Magenkrämpfe bekam.
Hamid trauerte nicht lange um Mahmud. Eine Woche später schickte er seinen Assistenten Samad, um einen fähigen jungen Kalligraphen, von dem der Meister gehört hatte, abzuwerben. Samad solle die Sache bei einem guten Mittagessen abwickeln. Hamid gab ihm zwanzig Lira: »Sei großzügig beim Füttern. Der Magen macht die Seele schüchtern.«
Zwei Tage später kam der neue Geselle. Er hieß Baschir Magdi und träumte davon, eines Tages alle Schriften von Zeitungen und Zeitschriften neu zu entwerfen. Er war ein lustiger Zeitgenosse und mochte Salman vom ersten Augenblick an. Nur Hamid hatte etwas an ihm auszusetzen: »Du sollst hier nicht für Wegwerfpapier, sondern für die Ewigkeit produzieren. Lass die Zeit und nicht die Hast in deinen Buchstaben wohnen.«
Aber Baschir konnte nicht langsam arbeiten. Zwei Monate nach seiner Einstellung warf er das Handtuch. Er ging zu einer großen Zeitung und wurde dort Chefkalligraph.
Salmans Mutter ging es schlecht. Sie fieberte über die Weihnachtszeit, erholte sich dann etwas und fiel wieder entkräftet ins Bett. Salman kaufte ihr teure Medikamente, die doch nur den Schmerz linderten, heilen konnten sie die Mutter nicht.
Er brachte sie jeden Freitag zu Doktor Sahum, der an diesem Tag kostenlos die Armen behandelte. Die Praxis war überfüllt, und man musste lange warten, aber Doktor Sahum blieb bis zum letzten Patienten freundlich. Er konnte am Ende auch nicht genau sagen, was der Mutter fehlte. Allgemeine Erschöpfung? Eine
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