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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Federn führt.«
    König Faruk war angeblich von diesem Brief mehr beeindruckt als von den Kalligraphien, mit denen er sein Schlafgemach schmückte. Er schrieb in sein Tagebuch, dass noch niemand aus der Ferne erkannt habe, mit welcher Feder er schrieb. Nur dieser Syrer, der ihm riet, nie mit diesen Stahlfedern zu schreiben, die damals aus Europa gekommen waren.
    Hamid Farsi schrieb selten mit Metallfedern. Er bevorzugte Schilf- oder Bambusrohr und schnitt für jede noch so feine Schrift seine Rohrfedern selbst. Es gab ganz bestimmte, streng geheime Methoden, wann man das Rohr erntete und wie lange man es in Pferdedung und anderen geheimen Zutaten eingraben musste, um ein gutes Schreibutensil zu erhalten. Das beste Rohrmaterial kam aus Persien.
    »Stahlfedern sind aus totem Erz. Sie schreiben gut, aber grob und kalt«, sagte Meister Serani immer, »Rohr hat Härte und Geschmeidigkeit zugleich, wie das Leben.«
    Schnitt und Spaltung der Feder waren die bestgehüteten Geheimnisse eines jeden Kalligraphen. »Wer schlecht schneidet, kann niemals gut schreiben«, sagte Hamid. Und wenn er seine Rohre zuschnitt, wollte er niemanden um sich haben, nicht seine Gesellen und auch nicht die Laufburschen. Er zog sich in eine kleine Kabine zurück, schloss die Tür hinter sich, machte Licht und arbeitete ununterbrochen, bis seine Federn geschnitten, gesäubert und gespalten waren.
    Sein Messer hielt er im Schrank mit seinen Federn und Tinterezepturheften versteckt. Niemand durfte es anfassen, selbst wenn es einmal offen herumlag.
     
    11.
     
    D irektor al Azm gefiel der Spruch an der Wand von Hamids Zelle und er wollte ihn haben. Hamid bat ihn, ihm diese eine Kalligraphie zu lassen, da er sie von seinem geliebten Lehrer und Meister bekommen habe. Dafür wolle er dem Direktor eine ebenso schöne neu schreiben. »Wenn möglich, doppelt so groß«, sagte der Direktor und lächelte auf dem Weg in sein Büro, weil er keinen besseren Spruch für seine junge Geliebte hätte finden können als »Gott ist schön und liebt die Schönheit«. Sie fragte immer wieder: »Warum liebst du ausgerechnet mich?« Hier hatte er die Antwort gefunden. Die Kalligraphie an Hamids Wand war ohnehin verstaubt und an den Rändern eingerissen, da konnte er mit einer nagelneuen besser punkten. Vergnügt und stolz über seine Gerissenheit betrat er sein Büro.
    Hamid dagegen war über den Wunsch des Gefängnisdirektors zutiefst erschrocken. Die Vorstellung, diese eine Kalligraphie weggeben zu müssen, machte ihn sprachlos, und erst nach geraumer Zeit war er in der Lage, etwas Neues für den Direktor zu entwerfen. Schon bald wusste er, welche Form der Spruch haben sollte. Er kannte die oft beschriebene Angst seiner Kollegen vor einem weißen Blatt nicht. Ganz im Gegenteil fühlte er sich voller Kraft und Mut. Und genau dieses Gefühl war der schönste Moment bei der Arbeit, die erste Berührung der schwarzen Tinte auf der gestaltlosen weißen Fläche. Mitzuerleben, wie das Schwarz dem Weiß Gestalt gab. Es war kein Rausch wie bei Musik und Opium, bei dem man schwebte und träumte, sondern ein höchster Genuss im wachen Zustand. Er erlebte, wie die Schönheit aus seiner Hand auf das Papier floss, ihm Leben, Form und Musik gab. Erst wenn die Worte zu Ende geschrieben waren, fühlte er Erschöpfung. Dann folgte die mühselige Routinearbeit am Schatten der Buchstaben, am Zierbalken, an den Vokalzeichen unter und über den Buchstaben, um ein einwandfreies Lesen zu ermöglichen, und schließlich die Ausarbeitung der Ornamente der umgebenden Fläche. Hier waren sein erlerntes Handwerk und seine Geduld gefragt.
    Er tunkte seine Rohrfeder in die Tinte und schrieb in einem Zugganz oben das Wort Gott. Kein Wort durfte in einem seiner Gemälde höher als der Name Gottes stehen.
    Als er zwei Tage später fertig war, ging er zur Wand und streichelte die alte Kalligraphie. »Gerettet«, flüsterte er.
    »Gott ist schön und liebt die Schönheit«, las Hamid den Spruch. Bilder stiegen in ihm auf. Seine erste Frau Maha war schön gewesen, aber sie war krank vor Dummheit. Hatte Gott sie geliebt?
    Er erinnerte sich, wie alles angefangen hatte. Serani hatte ihm ohne Umschweife, aber sehr schüchtern empfohlen, sich eine Frau zu nehmen, weil Hamids Blick sofort unruhig wurde, sobald er die Schritte einer Frau hörte. Hamid machte sich damals nicht viel aus einer Ehe. Er lebte gerne unabhängig, suchte einmal in der Woche ein Bordell auf und aß oft in Cafés. Seine Kleider ließ er

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