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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Beziehung zwischen Nacht und Eros, tadelte ihn dieser, er solle lieber bei seiner Tinte bleiben.
    Er begann mit den bekannten Methoden, ließ gepresste Traubenabfälle, Blauholz, Galläpfel, Knochen, Elfenbein, Olivenkerne, Blätter der Gerberpflanze Sumach und Anilin in geschlossenen Gefäßen verkohlen, zerkleinerte sie, kochte sie mit Eisen- und Kupfersalzen oder Silbernitraten –, aber er erreichte nicht das, was er suchte.
    Auch versuchte er mit Alkohol und Essig noch mehr Schwärze zu extrahieren. Alles geringfügige Verbesserungen, aber doch kein überzeugender Durchbruch.
    Die anderen Gesellen nannten ihn bald Kaminfeger, wenn er über und über mit Schwarz bedeckt herumlief, doch in seinem Fieber hörte er nichts.
    Er fand uralte Rezepte aus Griechenland und der Türkei. Verkohltes Bienenwachs, Lampen- und Petroleumruß sollte man zur Herstellung der Tinte verwenden, sie mischen mit zerkleinertem Harz, kochen, eine Woche ziehen lassen, sieben, eindicken. Hamid machte alles genau nach, und am Ende bekam er ein sattes Schwarz, aber immer noch nicht das, was er suchte.
    Eines Tages stieß er in einem Café in der Nähe des Ateliers auf einen maghrebinischen Alchimisten. Hamid trank seinen Tee und hörte zu, was der Alchimist seinen Zuhörern zur Erhaltung ihrer Potenz empfahl. Dieser Mann im weißen Gewand hatte ein intelligentes Gesichtund schien der Männer müde, die ihn bedrängten und ihm seine Pulverchen abkauften. Plötzlich erfasste er Hamid mit einem Blick, den dieser auch Jahrzehnte später nicht vergessen konnte. Er war dem Blick nicht ausgewichen, sondern hatte den Mann vielsagend angelächelt, und dieser war aufgestanden, hatte sein Teeglas ergriffen und war zu ihm in die Ecke gekommen.
    »Der Herr ist mit anderen Dingen beschäftigt, als Frauen zu verführen oder zu vergiften. Vielleicht sucht er das Geheimnis der Goldmacherei?« Hamid hatte gelacht. »Wir werden nicht ins Geschäft kommen. Mich interessieren weder Gold noch Frauen.«
    »Aber etwas Dunkles, Schweres hockt auf deinem Herzen«, sagte der Mann unerschrocken.
    »Da hast du recht«, war ihm entfahren, »ich bin auf der Suche nach dem absoluten Schwarz.«
    »Also bist du ein Kalligraph«, stellte der Fremde lakonisch fest. »Die Erde ist beschränkt, warum verlangst du nach dem Absoluten? Das gibt es nur im Himmel. Aber unter allen irdischen Farben ist meine die dunkelste«, sagte der Mann.
    Hamid hatte nur bitter gelächelt.
    »Ich gebe dir ein Rezept, und wenn du mit dem Ergebnis zufrieden bist, schickst du mir an eine Adresse in Beirut hundert kleine Kalligraphien mit Sprüchen aus dem Koran oder dem Hadith unseres Propheten. Die Blätter dürfen nicht größer sein als deine Handfläche und müssen alle in Spiegelschrift geschrieben sein. Bist du einverstanden?«
    »Und warum nach Beirut?«, fragte Hamid belustigt.
    »Morgen früh muss ich Damaskus verlassen. Ich bleibe einen Monat in Beirut, und wenn du mir meinen Lohn nicht schickst, werde ich dich verfluchen, dass du vom Unglück heimgesucht wirst. Schreib auf, was ich dir nun sage«, sagte der Mann ernst.
    Hamid holte sein kleines Heft, das er immer bei sich trug, um Einfälle und Kuriositäten aufzuschreiben. Das war ein Rat seines Meisters Serani, der nie ohne Heft und Stift aus dem Haus ging.
    Der Alchimist schien das Rezept auswendig zu kennen. Er diktierte, seinen Blick in die Ferne gerichtet, die Menge der Zutaten, das Verfahrenund die Zeit, die für alles benötigt wird, als würde er es aus einem unsichtbaren Buch ablesen.
    Es war, wie sich herausstellte, vielleicht nicht das absolute Schwarz, doch noch dunkler hatte damals in Damaskus keiner die Farbe herstellen können. Diese Tinte sollte Hamid später viel Ruhm und Reichtum bringen, aber auch schlaflose Nächte verursachen, denn er hatte den Alchimisten eine Weile vergessen und als er ihm dann den vereinbarten Lohn nach Beirut schickte, kam der Taxifahrer unverrichteter Dinge zurück mit der Nachricht, dass der Maghrebiner bereits abgereist sei.
    Hatte der Fluch des Alchimisten sein Unglück verursacht?
    Er hatte für die Herstellung der Tinte die Wolle vom Bauch der schwarzen Schafe genommen, sie angesengt, zerrieben, mit Harzen, Gummi arabicum und Gerbsäuren gemischt, das Ganze in Wasser aufgelöst, auf einer kleinen Flamme eingedickt, den entstandenen Teig geknetet. Dann hatte er Metalloxide hinzugefügt, das Ganze aufgelöst, wieder eingedickt und eine Paste erzeugt, die bei Erkalten zu einem rabenschwarzen

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