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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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für ein paar Piaster waschen, bügeln und flicken, so dass er mehr Zeit für seine Arbeit hatte.
    Einen Tag nach diesem denkwürdigen Gespräch, kam – als hätte das Unglück sie geschickt – seine Tante Majda, vor der sommerlichen Hitze und Einsamkeit in Saudi-Arabien flüchtend, nach Damaskus. Sie teilte ihm unumwunden mit, sie kenne eine Perle von einer Frau, wie für ihn geschaffen. Hamid war erstaunt, woher eine Frau, die neun Monate des Jahres in der Wüste Saudi-Arabiens lebte, wissen wollte, wer in Damaskus zu ihm passte, und noch erstaunter war er, als sie den Namen der Frau nannte: Maha, die hübsche Tochter seines Meisters Serani. Hamid kannte sie nicht, aber die Begeisterung seiner Tante steckte ihn an. Sie war von der stillen Schönheit Mahas fasziniert und handelte persönlich alles aus, da seine Eltern zu jener Zeit bereits den Kontakt zu den irdischen Dingen des Lebens verloren hatten.
    Maha war die einzige Tochter seines Meisters Serani, und Hamid dachte natürlich, sie wäre ein Glückstreffer. Sein Meister, der ihn doch zu seiner Entscheidung gedrängt hatte, äußerte sich ausgesprochen zurückhaltend, wie es seiner Art entsprach. Zu spät stellte Hamid fest, dass Serani seine eigene Tochter nicht gekannt hatte. Sonst hätte er gewusst, dass sie ihn und seine Kalligraphie alles andere als liebte und ihn auch noch für einen Tyrannen hielt.
    War er wirklich so schlimm, wie sie ihn darstellte? Maha jedenfalls erzählte nur Schauergeschichten über ihn.
    »Ich wäre gerne ein Schilfrohr gewesen«, sagte sie einmal unter Tränen, »denn mein Vater hat seine Schilfrohre täglich gestreichelt und gepflegt, mich aber nicht ein einziges Mal umarmt.«
    Da die Ähnlichkeiten zwischen ihrem Mann und ihrem Vater immer auffälliger wurden, konnte sie Hamid auch bald nicht mehr riechen.
    Er war inzwischen der erste Kalligraph im Atelier seines Meisters und der erste, der seit einem Jahrzehnt das Zertifikat aus der Hand Seranis bekommen hatte. Nun war es an der Zeit, ein eigenes Atelier aufzumachen. Nur wagte er es nicht, seinem Meister davon zu erzählen, vor allem wenn dieser – inzwischen als sein Schwiegervater – anfing, offen von dem Tag zu sprechen, an dem er ihm das Atelier übergeben und sich zur Ruhe setzen wollte. »Wenn meine Hand anfängt zu zittern, so in zwanzig oder dreißig Jahren«, fügte er ironisch lächelnd hinzu. Es gab tatsächlich alte Meister, die noch mit fünfundsiebzig gestochen scharf schrieben.
    Hamid musste also mit Geduld auf eine gute Gelegenheit warten, um dem Meister die bittere Pille zu überreichen.
    Es war die Zeit, als er auf der Suche nach dem absoluten Schwarz war. Schon kurz nach seiner Hochzeit experimentierte er in einer kleinen Kammer im hinteren Teil der Werkstatt mit allen möglichen Materialien, er verbrannte sie, löste die verkohlten Reste in Wasser auf und gab diverse Salze, Metallpulver und Harze hinzu, doch ein dunkleres Schwarz als das von ihnen verwendete erzielte er nicht.
    Serani hatte zehn Jahre seines Lebens auf der Suche nach dem reinen Schwarz vergeudet. Hamid wollte seinen Meister nicht übertreffen, sondern das Geheimnis der schwarzen Farbe ergründen und ihre reinste Form finden. Und als Dank wollte er die Farbe Serani-Schwarz nennen. Doch sosehr er sich auch abmühte, Alchimisten, Drogisten, Gewürzhändler, Apotheker und Zauberer befragte, keiner war in der Lage, ihm die geheime Rezeptur zu verraten.
     
    Erst im Gefängnis konnte er ermessen, wie viel Kraft er verschwendet hatte, um das absolute Schwarz in die Hand zu bekommen. Ein ganzes Kapitel in seinem Buch trug den Titel »Tinte«, darunter schrieb er später: »Meine Tinte ist schwarz, bestell bei mir keinen Regenbogen.«
    »Schwarz ist die mächtigste Farbe. Sie löscht alle anderen Farben und tötet das Licht. Schwarz ist kühn wie die Vernunft und kalt wie die Logik«, notierte er selbstbewusst und pathetisch, nachdem er monatelang alles gelesen hatte, was über die Farbenherstellung greifbar war. Meister Serani beobachtete seinen Eifer mit Bewunderung und nicht ohne Belustigung, wenn Hamid mit verschmutztem Gesicht nach Hause ging.
    Er suchte den dunklen Ton des schwarzen Samts und träumte vom absoluten Schwarz des Weltalls. Dort in der Ferne ist der schwärzeste aller Töne zu finden. Und plötzlich entdeckte er seine Liebe zur Nacht und fragte sich, warum ihn die Sehnsucht nach Frauen immer in der Dunkelheit befiel. Als er seinem Meister sagte, er denke, es gäbe eine

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