Das Geheimnis Des Kalligraphen
verbeugte und ihn mit Exzellenz ansprach, lächelte der Baron. »Dir schenke ich Ägypten und Libyen noch dazu«, sagte er und klopfte dem Heuchler gütig auf die Schulter. Er durfte ohne zu bezahlen in jedem Restaurant und Café essen und trinken, so viel er wollte, an jedem Kiosk gab man ihm die teuersten Zigaretten, »Für Sie, Herr Baron, kostenlos, aber denken Sie an meine Wenigkeit, wenn Sie das Geheimnis knacken.«
»Sicher, mein Lieber, du darfst dann die Banknoten drucken, und abends, nach getaner Arbeit, kannst du ein paar Scheine mehr für dich drucken lassen.«
Wie Nura von ihrem Vater erfuhr, zahlte der Sohn Woche für Woche alles, was an Unkosten entstand, und er war so dankbar und höflich, dass manche Geschäfte sogar weniger verlangten.
»Ja, er ist verrückt, aber er lebt das, wovon andere nur träumen und wofür sie sich ein Leben lang abrackern«, sagte der Schaffner einmal einem Fahrgast, als dieser den Baron lächerlich machen wollte.
Der Baron stieg eine Haltestelle vor Nuras Schule aus, nachdem er sich majestätisch verabschiedet hatte. Der Straßenbahnfahrer ließ ihmzu Ehren die Glocke zweimal bimmeln. Der Baron drehte sich um und winkte. Die Blässe seiner Hand und die Langsamkeit der Geste verliehen ihm ungeheure Würde.
Manchmal fuhr Nura aus Neugier bis zur Endstation und wieder zurück bis zur Schule. Der Schaffner drückte ein Auge zu. »Wir haben vergessen, bei deiner Haltestelle zu läuten«, sagte er, und sie lachte mit klopfendem Herzen. Sie erkundete Stadtgebiete, die nicht einmal ihre Mutter kannte. Sie konnte ihr aber nichts davon erzählen, da sie immer das Schlimmste erwartete und deshalb täglich voller Sorge an der Straßenbahnhaltestelle stand, um sie abzuholen.
Das blieb so von Nuras ersten bis zu ihrem letzten Schultag.
Nuras Schule lag im vornehmen Suk-Saruja-Viertel. Das Haus war ein Kunstwerk der arabischen Architektur. Ein verspieltes Gebäude mit Innenhof, dessen Mitte ein prachtvoller Springbrunnen schmückte. Die Fenster waren mit Buntglasbordüren geschmückt und Arkaden boten den Schülerinnen in den Pausen Schutz vor der sengenden Sonne und auch vor Regen. Etwa zweihundert Schülerinnen wurden hier von der ersten bis zur neunten Klasse unterrichtet.
Kurz nachdem Nura die Prüfung für den mittleren Schulabschluss bestanden hatte, wurde das Gebäude abgerissen und an seiner Stelle ein geschmackloses modernes Gebäude errichtet, das mehrere Geschäfte und ein großes Lager für elektrische Haushaltsgeräte beherbergte.
Nuras Klasse hatte achtzehn Schülerinnen. Jede war eine Welt für sich, aber sie hielten zusammen, als wären sie Geschwister.
In der Schule entdeckte Nura, dass sie eine schöne Stimme hatte. Sie sang gerne und viel, und auch ihre Mutter fand Gefallen an ihrer Stimme. Ihr Vater bewunderte sie und schulte lange Jahre ihren Atem. Er selbst hatte keine gute Stimme, aber er war ein Meister in der Kunst des Atmens.
Nuras Lieblingsstunde aber war der Religionsunterricht.
Nicht nur, weil der Lehrer ein junger Scheich und Schüler ihres Vaters und einer seiner glühenden Verehrer war, sondern auch, weil erzudem ein wunderschöner Mann war. Weil er Nuras Aussprache bewunderte, forderte er sie auf, Korantexte zu rezitieren. Sie sang die Verse aus vollem Herzen, so dass manche Mädchen weinten. Dankbar strich er ihr über den Kopf, und diese Berührung traf sie wie ein Blitz. Sie stand in Flammen. Bald wusste sie, dass nicht nur sie, sondern ihre ganze Klasse in den jungen Scheich verliebt war.
Nura hatte auch Jahre später gute Erinnerungen an ihre Schulzeit. Abgesehen von einem bitteren Erlebnis. Sie war in der siebten Klasse in allen Fächern die Beste. Nur in Mathematik hatte sie Probleme. Sie mochte den neuen Mathelehrer Sadati überhaupt nicht. Geometrie war für sie eine mittlere Katastrophe. Die einfachsten Berechnungen von Dreieckswinkeln und Schenkeln verwandelten sich für sie in ein Labyrinth, das nie zum richtigen Ergebnis führte. Die ganze Klasse war schlecht in Mathe, aber für Nura waren die Mathestunden ein einziges Schwitzbad mit Herzklopfen.
Dann kam, was kommen musste: Eines Tages war der Lehrer Sadati aus irgendeinem Grund schlecht gelaunt und wählte ausgerechnet sie aus, an die Tafel zu kommen und alle bisher gelernten Regeln der Geometrie durch klare Beispiele zu erklären. Nura wünschte sich den sofortigen Tod und dem Lehrer die Pest.
Sie blieb stumm, bis der erste Schlag mit dem Bambusrohr ihre Hand
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