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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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»denn dann fürchte ich mich vor dir und empfange lieber die alten Herren, deren eine einzige Sorge ihre Steifheit ist.«
    Nassri lächelte verlegen, und von nun an legte er einen Schleier der Gleichgültigkeit über seine Augen.
     
    »Können Sie einen Brief schreiben, in dessen Worten die Liebe versteckt ist, die direkt ins Herz geht, ohne für den Verstand lächerlich zu erscheinen?«, fragte er Hamid Farsi. An diesem heißen Mainachmittag brachte er viel Zeit mit. Er wollte Asmahan eine Kalligraphie mit ihrem vollen Namen schenken und dazu einen besonders raffinierten Brief schreiben lassen.
    »Wie sollen Wörter das Herz erreichen, ohne durch das Tor der Vernunft zu gehen?«, erwiderte Farsi und malte den Schatten eines Buchtitels. Es faszinierte Nassri, wie der Meister bei jedem Buchstaben konsequent den Schatten genau dort platzierte, wo er entstanden wäre, wenn eine Lampe in der oberen linken Ecke geleuchtet hätte. Die Buchstaben bekamen so eine dritte Dimension und schienen aus dem Papier herauszuragen.
    »So wie die Kalligraphie das Herz erfreut, auch wenn man die Wörter nicht entziffern kann«, sagte Nassri. Farsi stockte und blickte auf. Er war überrascht, dass dieser Halbanalphabet zu einer solchen Antwort fähig war.
    »Das ist etwas anderes«, entgegnete Hamid Farsi in die gespannte Stille. Das Schweigen hatte nicht einmal zwei Minuten gedauert, aber es war Nassri wie eine Ewigkeit vorgekommen. »Die Kalligraphie übt durch ihre innere Musik Einfluss auf das Hirn aus, sie öffnet dann den Weg zum Herzen – so wie eine Musik, deren Ursprung Sie nicht kennen und bei der Sie nicht verstehen, worum es geht, Sie trotzdem beglückt.«
    Nassri verstand nichts, nickte aber.
    »Trotzdem macht man keinen großen Fehler, einer Geliebten bekannte Liebesgedichte zu schicken, und je älter desto besser. Man kann dann sagen, man schicke sie, weil sie einem gefallen hätten und man die Frau an diesem Genuss beteiligen wolle ... so in etwa könnte es gehen, aber nicht am Hirn vorbei. Die Sprache weigert sich, geschmuggelt zu werden ... «
    »Das ist nicht schlecht, eindeutig in der Zweideutigkeit der Dichtung zu sprechen«, sagte Nassri. Das hatte er an diesem Morgen in der Zeitung gelesen, und es hatte ihm gefallen. Es ging um eine Ansprache des neuen Staatsoberhaupts, der immer doppelbödig zu sprechen schien.
    »Eilt es?«, wollte Farsi wissen. Das Ministerium hatte ihm den ehrenvollen Auftrag gegeben, alle Schulbücher neu zu gestalten, denn alle sollten – im Sinne der Demokratie – von Spuren des Diktators Schischakli gesäubert werden.
    Als Hamid Farsi den Versuch machte, über die vielen Aufträge zu jammern, wurde Nassri zum ersten Mal schroff. »Es gibt keine anderen Termine, die einem Abbani vorzuziehen sind«, sagte er, »nicht einmal fürs Parlament. Das nur, damit wir uns verstehen«, schloss er herrisch.
    Hamid Farsi gehorchte, denn Nassri zahlte das Zehnfache des Preises, den jeder Kenner hätte zahlen wollen.
    Am fünften Tag lag der Brief in einem roten Umschlag bereit, zusammen mit der kleinen umrahmten Kalligraphie eines bekannten Liebesgedichts von Ibn Saidun. Asmahan fand die Kalligraphie wie immer entzückend, aber der Begleitbrief rührte sie zu Tränen. Nassri stand wie verloren im Salon. Er sah, wie die junge Hure von der Schönheitder Worte überwältigt wurde. Und er sah, wie sie ihren aus dem Stahl ihrer Kälte errichteten Käfig verließ und direkt in seine Arme fiel. »Mach heute mit mir, was du willst. Du bist der Herr meines Herzens«, sagte sie und sie gab sich ihm hin wie noch nie zuvor.
    Nassri blieb bei ihr die ganze Nacht. Am nächsten Morgen weigerte sich Asmahan, Geld für die Nacht anzunehmen. »Du hast mir mit diesem Brief Dinge zurückgegeben, die mir die Welt gestohlen hat«, sagte sie und küsste ihn innig auf den Mund.
    Nassri hielt vor ihrem Haus kurz inne, dachte an ihre schönen Brüste und Lippen und atmete den Jasminduft, mit dem sie seine Haare nach dem Bad eingesprüht hatte. Hamid Farsi war sein Glücksbringer, davon war er überzeugt.
    Er machte sich beschwingt auf den Weg zum Büro und ahnte nicht, von Glück und Jasmin umhüllt, wie sehr er sich irren sollte.
     
    16.
     
    H amid Farsi blieb Nura nicht nur in der Hochzeitsnacht, sondern in all den kommenden Nächten bis zu ihrer Flucht fremd. Alle Beteuerungen der gutmeinenden Frauen, man gewöhne sich an den Ehemann, bewahrheiteten sich nicht. Sie gewöhnte sich an die Räume und die Möbel und auch an

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