Das Geheimnis Des Kalligraphen
Respekts, den er ihnen entgegenbrachte, fern. In seinem Innersten war Hamid Farsi einsam. Es verletzte Nura tief, dass sie, wenn sie zu ihm vordringen wollte, immer nur auf dicke Mauern stieß. Ihre Freundinnen wollten sie damit trösten, dass es ihnen nicht anders ergehe. Sana hatte einen mit krankhafter Eifersucht geschlagenen Mann. »Er macht jedes Mal ein peinliches Theater, wenn mich auf der Straße einer zu lange anschaut. Dann spielt er sich auf als Offizier der Luftwaffe und ich wünsche mirbloß, dass die Erde aufgeht und mich verschlingt. Er hat ständig Angst, dass mich ein Fremder ihm wegnimmt. Als wäre ich sein Esel, sein Auto oder sein Spielzeug. Er geht sofort auf den Mann los, wie er das von seinem Vater, seinem Nachbarn und den unsäglichen ägyptischen Filmen gelernt hat, wo die Männer in Eifersuchtsanfällen aufeinander einschlagen. Und die Frau steht abseits und wartet, wie vor ihr die Ziege, das Schaf oder die Henne gewartet haben, bis im Kampf unter den Böcken, Hammeln oder Hähnen der Sieger triumphiert.«
Sana erfuhr von ihrem Mann kein Wort über seine Arbeit bei der Luftwaffe. Das sei nichts für Frauen. »Aber Witwen dürfen wir dann werden«, sagte Sana bitter – und prophetisch, denn wenige Jahre später verunglückte er beim Jungfernflug eines neuen Kampfflugzeugs.
Andere Freundinnen betrachteten ihre Männer als unsichere kleine Jungen, die immer ihre Sandburg brauchten. Nura solle doch froh sein, dass ihr Mann sie nicht betrog. Und wieder eine andere warf ihr Undankbarkeit vor, denn ihr Mann schenke ihr Wohlstand, wie sie ihn sich nicht hätte träumen lassen, und sie langweile sich.
»Dieses Herzchen«, knurrte Dalia, »sag ihr, dass Ehemänner mehr für Puff und Restaurant ausgeben als für die Ehefrau – da soll man mir nicht mit Dankbarkeit kommen.«
Nura empfand auch ohne den Beistand der Schneiderin keine Dankbarkeit gegenüber jemandem, der sie nie anfasste, außer wenn er mit ihr schlief, und sie monatelang nicht fragte, wie es ihr gehe.
Als hätte sie eine ansteckende Hautkrankheit, vermied er jede Berührung. Auch auf der Straße lief er immer einen Schritt voraus. Sie bat ihn, an ihrer Seite zu bleiben, weil sie es als demütigend empfand, stets hinter ihm herzuhecheln. Er versprach es, aber bei der nächsten Straße war er wieder mehrere Schritte voraus. Ihre Hand wollte er auch nie halten, »das macht ein stolzer Mann nicht«, sagte er knapp.
Sie rätselte jahrelang, warum sich ein Mann durch das Halten einer Frauenhand in seinem Stolz verletzt fühlen sollte, fand aber keine Antwort. Manchmal stellte sie sich ihm in den Weg, damit er sie berühren musste, aber er fand immer einen Weg, sie zu umgehen. Wenn sie ihn anfasste, zuckte er zurück. Er war bis zur Verkrampfung darauf bedacht,dass er sich ihr nie nackt zeigte, auch wandte er seinen Blick von ihr, wenn sie nackt durch das Schlafzimmer zum Bad lief.
Einmal schimpfte er die ganze Nacht mit ihr, weil sie ihn beim Abendessen unter dem Tisch berührt hatte. Sie waren bei ihren Eltern eingeladen, das Essen war köstlich, und ihre Mutter war so fröhlich wie selten in ihrem Leben. Zum ersten Mal streichelte sie vor Gästen die Wangen ihres Vaters. Nura fühlte sich glücklich und wollte die Freude mit ihrem Mann teilen. Sie stupste mit ihrem Fuß unter dem Tisch sein Bein. Er zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte Mühe, ihr Lächeln zu wahren. Zu Hause schrie er sie an, ein solches frivoles Verhalten sei hurenhaft, keine anständige Ehefrau mache so etwas in der Öffentlichkeit.
An diesem Abend schrie sie zum ersten Mal zurück. Sie war außer sich. Wenn es so weitergehe, würde sie an seiner Seite erfrieren, und Hamid lachte nur giftig: »Dann zünde doch den Ofen an. Holz haben wir genug.« Mit dieser schneidenden Bemerkung ließ er sie im Salon sitzen.
Ihr Entsetzen kannte keine Grenzen, als sie kaum eine halbe Stunde später sein Schnarchen hörte.
Was sollte Nura tun? Sie wollte doch nur ihren Frieden. Hatte ihre Mutter nicht oft gesagt, so schlecht eine Ehe auch sei, sie sei der sichere Hafen. Nichts davon stimmte. Noch nie hatte sie so unruhig geschlafen, noch nie so oft an Flucht gedacht.
Was beunruhigte sie? Lange wusste sie es nicht, bis sie Salman begegnete. Erst durch ihn erkannte sie, dass ihre Unruhe von der Gewissheit kam, ihr Leben sinnlos zu vergeuden.
Ihr geheimes Tagebuch füllte sich zusehends, und Nura kam sich wie eine Spionin vor, die ein fremdes Wesen zu observieren hatte. Selbst
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