Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
»Ich wollte eigentlich bei einem Freund wohnen, bei einer Urlaubsbekanntschaft hier in Dunedin, aber das Wiedersehen war so enttäuschend, dass ich keine Lust mehr habe, Neuseeland näher zu erkunden.«
Suzan Almond sah Grace mitleidig an. »Gehen wir doch erst mal in mein Büro, damit wir uns in Ruhe unterhalten können.« Dann rief sie in einen der zahlreichen Räume, die von der Diele abgingen: »Vanessa, machst du bitte einen Tee für zwei, und vergiss die gute Cadbury nicht! Wir müssen Miss Cameron davon überzeugen, dass Dunedin Besseres zu bieten hat als enttäuschende Urlaubsbekanntschaften.« Und schon hatte sie Grace in das Büro ihrer Mitarbeiterin geschoben.
»Das ist meine rechte Hand Vanessa, und das ist Miss Cameron, mit der ich das Moa-Buch schreiben werde.«
Grace schluckte ihren Protest hinunter und begrüßte Vanessa, eine rothaarige Frau in ihrem Alter, die ihr auf Anhieb sympathisch war. Erst als sie im Arbeitszimmer der Professorin in einer gemütlichen Sitzecke Platz genommen hatten, sagte Grace heftiger als beabsichtigt: »Miss Almond, ich schätze Ihr Angebot sehr, aber Sie haben mich eben nicht richtig verstanden. Ich reise ab! Es wird hier keine Zusammenarbeit zwischen uns geben. Ich habe meine Pläne geändert.«
»Misses Almond!«, entgegnete die Professorin entschieden. »Ich war mal verheiratet. Genau ein Jahr hat diese dumme Ehe immerhin gehalten; aber jetzt kommen wir zu Ihnen. Natürlich habe ich gehört, was Sie mir gesagt haben, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich Sie verstehe.« Wieder lächelte sie dieses bezaubernde Lächeln, das die Narben in ihrem Gesicht vergessen ließ.
Wider Willen lächelte Grace zurück. »Sie wollen damit sagen, dass Sie mir zugehört haben, aber trotzdem nicht verstehen, warum ich Ihrem Land gleich wieder den Rücken kehren will?«
»Wieso meinem Land? Es ist doch auch Ihr Land.«
Grace sah die Professorin verwirrt an. »Woher wissen Sie das denn? Ich habe Ihnen, soweit ich mich entsinnen kann, gar nicht verraten, dass mein Vater Neuseeländer ist.«
»Ihr Name sagt eben alles, Kindchen. Schauen Sie mal ins Dunediner Telefonbuch. Cameron ist ein Kiwiname. Es sei denn, Ihr Vater ist Schotte.«
»Nein, nein, seine Familie lebte oder lebt wohl in Neuseeland, aber er spricht nicht darüber. Ich weiß nur, dass er im Süden der Südinsel geboren wurde.«
»Und haben Sie denn gar keine Verwandten hier?«
Grace seufzte schwer. »Mein Vater hat seit achtunddreißig Jahren, quasi seit meiner Geburt, keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Er ist damals nach Deutschland ausgewandert. Und wenn ich ganz ehrlich sein soll, bin ich auch nicht erpicht darauf, hier einen auf Familie zu machen, denn ich bin ohnehin nur ...«, sie unterbrach sich hastig.
Die Professorin sah sie durchdringend an. »Was wollten Sie eben sagen?«
»Ich bin adoptiert. Warum sollte ich also nach den Verwandten meines Adoptivvaters forschen, wenn die nicht mal ihn selbst interessieren? Und selbst wenn: Cameron ist ein häufiger Name in dieser Stadt, wie Sie gerade eben erwähnten. Da kann ich schlecht alle durchtelefonieren, oder?«
Das Letzte sollte ein Scherz sein, aber die Professorin lachte nicht. Im Gegenteil, sie musterte Grace so durchdringend, dass diese unangenehm berührt war, bevor sie fragte: »Und Ihre Mutter?«
»Sie war Deutsche«, erklärte Grace knapp, und in ihrem Blick stand geschrieben, dass sie keine weiteren Fragen zu ihren Eltern wünschte.
Die Professorin schien die stumme Botschaft verstanden zu haben. »Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen natürlich nicht zu nahe treten, aber seit ich Ihren faszinierenden Artikel gelesen und mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt habe, interessiere ich mich auch für Sie als Person.«
Grace schenkte ihr ein verkrampftes Lächeln. Eine innere Stimme riet ihr, das Haus der Professorin schnellstens zu verlassen. Würden sie weiter über Claudia und Ethan sprechen, wären die Tränen nicht mehr weit. Und ihr stand nicht der Sinn danach, sich bei dieser Fremden auszuweinen.
»Dürfte ich wohl noch einmal kurz auf den jungen Mann zurückkommen?«
Grace zog es vor zu schweigen, was die Professorin offenbar als Zustimmung wertete.
»Ich finde es schade, wenn so eine selbstbewusste, kluge junge Frau wie Sie deshalb gleich die Flucht ergreifen und dafür sogar eine berufliche Chance wegwerfen will. Eine Chance, um die Sie viele beneiden würden.«
Grace lief knallrot an. Was fiel dieser Person ein, den Finger in
Weitere Kostenlose Bücher