Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
war. War er eifersüchtig? Allein seine begehrlichen Blicke, wenn sie sich in ihre Koje zurückzog, hatten dazu geführt, dass sie sich nur noch unter der Bettdecke entkleidete. Wie wütend sein Gerede sie gestern gemacht hatte! So zornig, dass sie aus dem Bett gesprungen und an Deck gerannt war. Will war ihr gefolgt. Sie hatte ihm an den Kopf geworfen, dass sie so niemals Kinder bekommen würden.
Selma seufzte. Sie hätte so gern ein Kind von Will, aber wenn sein Bruder ihr junges Eheleben weiterhin auf Schritt und Tritt bewachte, würde sie niemals schwanger werden.
Sie würgte, doch ihr Magen war leer. Es wäre schön, wenn endlich einer käme, dachte sie gerade, als die Tür aufflog und Richard die Kajüte betrat.
»Wo ist Will?«, fragte Selma.
»Ich dachte, das wüsstest du. Seit eurem Streit gestern habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
Trotz ihrer Übelkeit schnellte Selma hoch. »Wie, du hast ihn nicht mehr gesehen?«
»Danach war er wie vom Erdboden verschluckt. Ich bin euch nach, habe euren Streit an Deck beobachtet und mich dann diskret zurückgezogen. Er stand mit dem Rücken zur Reling. Du hast ihn doch nicht etwa ...«
Selma lief vor Empörung rot an. »Du willst mir doch nicht unterstellen, ich hätte ihn über Bord gestoßen?«
Richard lachte dröhnend. »Das war ein Witz, aber Tatsache ist: Seit eurem Streit hat ihn niemand mehr gesehen.«
»Er wird die Ankunft feiern. Was sonst?« Selmas Stimme klang kläglich, obwohl sie sich bemühte, unbesorgt zu klingen.
»Und wenn er bei dem Sturm über Bord gegangen ist?«, warf Richard ungerührt ein.
»Blödsinn, er ist ein Bär von einem Mann. Den pustet so leicht nichts um.«
»Selma, das war Spaß. Ich werd ihn mal suchen gehen.« Er lachte dröhnend, als er die Kajüte verließ.
Sie teilte seinen Humor nicht im Geringsten. Vor allem, weil sie ein merkwürdiges Gefühl im Magen hatte, eines, das nicht vom Schaukeln herrührte. Es war gar nicht so abwegig, dass ihm etwas zugestoßen war, denn wäre er sonst die ganze Nacht fortgeblieben, noch dazu bei diesem Sturm? Wohl kaum. Außerdem wimmelte es an Bord nur so von üblen Gestalten.
Obwohl Selma am ganzen Körper zitterte, schaffte sie es schließlich aufzustehen. Sie trug immer noch ihr Reisekleid, mit dem sie sich gestern nach dem Streit in ihre Koje gelegt hatte. Ihr war nicht nur entsetzlich übel, sondern sie spürte nun auch eine unermessliche Angst.
Mit letzter Kraft schleppte sie sich an Deck, wo sich die Menschen mitsamt ihren Habseligkeiten dicht aneinanderdrängten, um das Anlegemanöver zu beobachten. Inmitten dieser Massen hatte es keinen Sinn, nach Will zu suchen. Vor ihr standen ein paar vierschrötige Kerle, die ihr die Sicht versperrten. Aus deren Hemden und Jacken wehte der Geruch von altem Schweiß zu Selma herüber. Drei Monate auf See waren eine lange Zeit. Ihr wurde noch übler. Nur mit Mühe konnte sie sich noch auf den Beinen halten. Sie beschloss, in ihre Kajüte zurückzukehren und dort auf Will und Richard zu warten. Es würde sicherlich noch einige Zeit dauern, bis alle Menschen von Bord waren.
Selma wankte mit Mühe zurück in ihre Kajüte und legte sich in die Koje. Ihr war heiß und kalt zugleich. Die schreckliche Übelkeit, verbunden mit einer beklemmenden Angst um Will, raubte ihr den letzten Rest ihrer Kraft. Was, wenn ihm wirklich etwas zugestoßen war? Was, wenn jemand außer Richard und ihr von dem Geld unter Wills Kopfkissen gewusst hatte?
Stöhnend rappelte sie sich noch einmal auf, um unter das Kissen im oberen Etagenbett zu fassen. Sie stutzte. Sosehr sie auch danach tastete, das Geld war fort. Selmas ohnehin wachsweißes Gesicht wurde noch bleicher. Vielleicht hat er es mitgenommen, ging ihr durch den Kopf, doch sie wusste gleich, dass das mehr als unwahrscheinlich war. Es waren immerhin fünftausend Pfund Sterling in vier Bündeln, die jeweils fünfundzwanzig Fünfziger enthielten. Die konnten doch nicht einfach verschwunden sein! Selma kletterte unter Mühen in die obere Koje, durchwühlte sie, wobei sie auch unter die Matratze schaute - indes vergeblich. Von Wills Ersparnissen fehlte jede Spur.
Selma war den Tränen nahe.
Da flog erneut die Kajütentür auf, und Richard stürzte aufregt herein. »Was treibst du denn da?«, fragte er vorwurfsvoll.
»Wills Geld ist fort«, klagte sie mit heiserer Stimme.
»Lass mal sehen!« Jetzt machte auch er sich auf die Suche - ohne Erfolg.
»Jemand hat es gestohlen«, murmelte er schließlich.
»Aber wie
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