Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
ihre größte Wunde zu legen? Ja, sie war schon immer weggelaufen, wenn es ihr unangenehm wurde. Sie verabscheute Auseinandersetzungen mit all den damit verbundenen Gefühlsverirrungen. Lieber verließ sie eine Stadt und sogar ein Land, um eine unglückliche Liebe so schnell wie möglich zu vergessen. Was vorbei war, war vorbei. Und nichts mehr sollte sie daran erinnern.
Grace suchte noch nach den richtigen Worten, um sich dieser Einmischung in ihre persönlichen Angelegenheiten zu erwehren, als die Professorin ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm legte.
»Oje, jetzt bin ich Ihnen schon wieder auf die Füße getreten«, sagte Suzan Almond entschuldigend. »Das wollte ich nicht. Ich bin manchmal furchtbar taktlos im Umgang mit Menschen. Wenn man wie ich nur mit dem Moa beschäftigt ist, kann man sonderbar werden. Können Sie mir verzeihen?«
Grace kämpfte mit aller Macht gegen die Tränen an, die sie nur unter großer Anstrengung zurückhalten konnte.
»Ich möchte doch nur verhindern, dass Sie die Chance unserer Zusammenarbeit einfach wegwerfen, nur weil der junge Mann Ihre Gefühle verletzt hat und Sie sich nur noch weit genug fortwünschen. Es ist ja nicht so, dass ich das nicht kenne. Im Gegenteil, ich bin auch schon einmal vor einem Mann davongelaufen, doch das war der größte Fehler meines Lebens.«
»Sie haben ja recht. Es wäre dumm, aber ich kann nicht anders. Ich hätte gar nicht herkommen dürfen. Mein Vater hat mir die Reise bis zuletzt ausreden wollen.«
»Aber finden Sie das nicht ein wenig seltsam, dass er nicht möchte, dass Sie in das Land Ihrer Vorfahren reisen?«
»Ich sagte Ihnen doch bereits, dass ich adoptiert bin.«
Obwohl Grace aufgebracht wirkte, hakte ihr Gegenüber nach: »Ja, und woher kommen Ihre leiblichen Eltern?«
Wieder dachte Grace, dass es besser wäre, sie würde einfach aufstehen und gehen. Irgendetwas läuft hier schief, durchfuhr es sie eiskalt, ich muss weg, und doch rührte sie sich nicht vom Fleck. »Das Einzige, was mein Vater hat durchblicken lassen, ist die Tatsache, dass meine Eltern Neuseeländer waren, aber mehr weiß mein Vater auch nicht über sie. Haben Sie schon mal gehört, dass die Daten von adoptierten Kindern ganz offen an die Adoptiveltern weitergegeben werden? In Deutschland wird das jedenfalls diskret behandelt. Doch selbst wenn ich im Nachhinein die Namen meiner leiblichen Eltern herausfinden könnte, mich interessieren sie nicht die Bohne. Schließlich haben diese Leute mich weggegeben. Meine Eltern heißen Ethan und Claudia. Basta!« »Kann es sein, dass Sie da etwas verdrängen?«
»Sie werden mich kaum zum Bleiben überreden, indem Sie mir den Floh ins Ohr setzen, ich müsse hier in Neuseeland meine Wurzeln finden. Ich fühlte schon immer eine Sehnsucht nach diesem Land, zugegeben. Schon seit meiner Schulzeit, als mein Erdkundelehrer uns ein wunderschönes Foto gezeigt hat. Ich werde es nie vergessen. Es zeigte einen See, aus dem ein sattgrüner Berg in einen unglaublich blauen Himmel ragte. Das war wie ein Versprechen.« Grace verstummte, als sie merkte, dass sie gerade ins Schwärmen geraten war.
»Das könnte der Doubtful Sound gewesen sein. Der hat seinen Namen von James Cook, der bezweifelte, dass er schaffen würde, jemals wieder aus dieser Bucht hinauszusegeln. Oder es war ...«
»Machen Sie sich keine Mühe«, unterbrach Grace Suzan, »es spielt keine Rolle. Ich bin einer Sehnsucht nachgereist, die in Wirklichkeit eine Fata Morgana ist. Aber in einem Punkt haben Sie recht. Ich sollte mir ein wenig Zeit nehmen, mit Ihnen zu arbeiten. Ich bleibe vierzehn Tage.«
»Fantastisch!«, rief die Professorin begeistert aus. »Obwohl das für ein Buch nicht reichen wird.«
»Ich sagte, ich will mit Ihnen arbeiten. Das heißt noch lange nicht, dass wir gemeinsam ein Buch schreiben. Und die Arbeit mit Ihnen ist der einzige Grund, warum ich bleibe. Sie brauchen also nicht mehr auf der Neuseeländerin in mir herumzureiten. Die interessiert mich nicht. Punkt und aus!«
Statt ihr böse zu sein, lächelte die Professorin. »So habe ich früher auch mal geredet. Genau wie Sie! Ich habe mich lieber in die Arbeit vergraben, weil ich in der Liebe kein gutes Händchen hatte. Der Mann, der mich faszinierte, war nicht zu haben. Jedenfalls nicht für mich. Ich habe mich lange gesträubt, an so etwas zu glauben wie die zerstörerische Macht von Familiengeheimnissen und Lebenslügen - bis ich bereit für die Geschichte meiner Vorfahrinnen war. Nach dem
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