Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
zögerte, doch dann sagte sie hastig: »Ich bin Deborah!« Ihr wurde heiß, als sie den echten Namen ihrer Mutter aussprach.
Deborah strahlte über das ganze Gesicht. »Deborah? Was für ein Zufall. So hieß ich auch einmal. Jedenfalls, bevor sie mich eingesperrt haben.«
»Alma, jetzt ist gut. Du wolltest Fremden gegenüber nicht über die Sache sprechen. Du weiß schon ...«
»Moira, aber sie ist doch keine Fremde. Der Reverend hat sie geschickt.«
»Sie sagten, sie hätten Ihren Vater später nicht oft sehen dürfen. Lebte er denn nicht bei Ihnen?«
Grace hoffte, dass das laute Pochen ihres Herzens sie nicht verriet, aber Deborah brach nun in ein lautes Gekicher aus.
Grace sah sie entsetzt an. Es war ein Irrsinn. Diese Mischung aus einem nicht erwachsen werden wollenden Püppchen und einer verwirrten Alten sollte ihre Mutter sein?
»Nein, er lebte woanders. Wollen Sie wissen, warum? Ich meine, ich war noch zu klein, aber Mom hat uns die ganze Geschichte immer und immer wieder erzählt. Dad ist jedes Mal ausgewichen, wenn ich ihn darauf angesprochen habe. Wollen Sie es hören?«
»Nein, ich glaube, solche persönlichen Dinge, die deine Eltern betreffen, interessieren unseren Gast nicht. Ich glaube, sie hat genug gehört und möchte jetzt gehen«, mischte sich Moira ein.
Grace warf ihr einen drohenden Blick zu. »Sie irren. Ich finde das alles unglaublich spannend.«
»Schön!«, bemerkte Deborah und klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Ich habe das nämlich alles so lange keinem mehr erzählt. Und ich hatte es auch irgendwie vergessen, aber gerade sehe ich das alles vor mir, als wäre es gestern gewesen.«
Moira rollte mit den Augen und servierte den Tee.
Deborah hingegen musterte Grace durchdringend. »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor«, raunte sie schließlich.
Dunedin, Dezember 1944
Barbra war nur von dem einen Gedanken beseelt: Thomas einen königlichen Empfang zu bereiten, wenn er heute aus dem Krieg zurückkehrte. Er war seit Beginn der Pazifikkämpfe als Bomberpilot im dauernden Einsatz, aber nun sollte er noch vor Weihnachten wieder zuhause sein. Barbra war überglücklich. Sie vermisste ihn entsetzlich. Natürlich, sie hatte die Mädchen, aber ohne ihren Mann fühlte sie sich irgendwie unvollständig. Eigentlich war sie in Thomas noch immer so verliebt wie am ersten Tag. Das wurde ihr immer dann besonders bewusst, wenn sie Norma und Alex traf. Dass die beiden keine glückliche Ehe führten, war unübersehbar. Daran änderte auch deren aufgeweckter Sohn Ethan nichts, den Norma noch im Jahr ihrer Hochzeit zur Welt gebracht hatte. Barbra hatte sie damals glühend um ihr Mutterglück beneidet. Sie hatte nämlich noch zwei lange Jahre warten müssen, bis sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte.
Mit gemischten Gefühlen betrachtete Barbra ihre Stiefschwester, die auf dem Wohnzimmersofa schlief. Norma war heute Nacht mit einem Koffer und ihrem Kind an der Hand bei ihr aufgekreuzt. Alex war in aller Frühe betrunken nach Hause gekommen und hatte sich gegen ihren Willen über seine Frau hergemacht. Aber damit nicht genug. Nachdem er mit ihr fertig war, hatte er sie beschimpft, aus dem Bett gezerrt und ihr einen Tritt in den Unterleib verpasst. Norma war, während Alex seinen Rausch ausschlief, nach Dunedin geflüchtet. Gerade eben erst war Norma, nachdem sie den Rest der Nacht geweint und ihr Schicksal beklagt hatte, endlich vor lauter Erschöpfung auf dem Sofa eingeschlafen. Ethan hatte bei den Mädchen im Zimmer geschlafen und war mit ihnen gleich nach dem Frühstück zum Spielen in den Garten gerannt.
Gegen Suzans burschikosen Ton hat Ethan keine Chance, dachte Barbra, als sie ihren Blick aus dem Fenster schweifen ließ und die tobenden Kinder beobachtete. Sie hatten sich gerade unter dem blühenden Eisenholzbaum eine Höhle gebaut. Alles hörte dabei auf Suzans Kommando. An ihr war ein Junge verlorengegangen! Dabei kam sie vom Äußeren ganz nach Barbra. Das schwarze dicke Haar, die Nase, der Mund ... Deborah hingegen war klein und zierlich. Sie ähnelte ihrer Großmutter Antonia. Sie lief ihrer großen Schwester stets wie ein Hündchen hinterher und war ansonsten eine kleine Prinzessin, die schon jetzt alles bekam, was sie wollte. Wenn sie ihren Schmollmund zog, konnte ihr keiner widerstehen. Besonders Thomas schlägt ihr keinen Wunsch ab, dachte Barbra mit einem Lächeln auf den Lippen. Ach, wie sie sich auf ein Wiedersehen mit dem geliebten Mann freute. Sie hatte noch
Weitere Kostenlose Bücher