Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
nicht hatte tragen dürfen.
Grace aber blickte nun rasch von dem Foto auf und tat desinteressiert.
»Ja, schön, aber bist du jetzt fertig?«
Statt ihr eine Antwort zu geben, legte er ihr die Hände auf die Schulter und sah sie durchdringend an. »Grace, was ist los? Du bist plötzlich so anders. Wenn wir uns in meiner Hütte geliebt haben, dann warst du danach wie Wachs in meinen Armen, hast dich an mich geschmiegt, und deine Augen haben vor Glück geleuchtet. Jetzt sind sie stumpf und ohne Glanz.«
Grace biss sich auf die Lippen. Es hatte keinen Sinn, ihm etwas vorzumachen und das Unabänderliche hinauszuschieben. Nein, sie musste all ihren Mut zusammennehmen, um es endlich hinter sich zu bringen. So war es eine Quälerei für sie - und für ihn.
»Barry«, begann sie zögernd. »Barry, ich habe mich entschieden. Ich möchte dich nicht mehr wiedersehen. Mein Herz schlägt nicht mehr für dich so wie auf Ko Samui und die ganzen Monate über, in denen wir uns geschrieben haben.«
»Wie bitte? Du bist mit mir in dieses Haus gekommen, obwohl du nichts mehr für mich empfindest? Warum hast du mir das nicht gleich gesagt, als ich dich vor dem Haus dieser schrecklichen Frau getroffen habe?«
Seine Stimme klang drohend.
»Barry, verzeih mir, aber da habe ich es selbst noch nicht so genau gewusst.«
»Ach so. Und seit wann weißt du es so genau?«
Grace kämpfte mit sich. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass er annähernd erahnte, dass und vor allem an wen sie ihr Herz unrettbar verloren hatte.
»Schon als wir uns vorhin bei Marco gesehen haben, da habe ich geahnt, dass es nichts mehr werden kann mit uns. Weißt du, unsere erste Begegnung, die sitzt mir einfach zu tief in den Knochen ...«
»Erzähl keinen Blödsinn, Grace Cameron! Gib es zu, ich bin dir nicht gut genug. In Thailand war ich exotisch, aber hier im Lande der Pakeha ist dir bewusst geworden, dass ich nur ein Maori bin. Gib es ruhig zu.«
»Nein, das hat gar nichts damit zu tun«, protestierte sie. Wenn er wüsste, wie sehr er sich täuschte, aber sie konnte ihm doch schlecht erbarmungslos die Wahrheit sagen: Ich liebe einen anderen Maori! Einen stolzen, aufrechten Maori! Deinen Bruder!
»Und dann lässt du dich von mir flachlegen wie eine Nutte? Du bist wirklich das Letzte.«
Grace kämpfte mit sich. Am liebsten würde sie ihn mit einer kräftigen Ohrfeige zum Schweigen bringen. Doch sie riss sich zusammen und versuchte, an seinen Verstand zu appellieren, statt die Emotionen weiter anzuheizen.
»Das ist nicht wahr, Barry. Dass du Maori bist, hat nichts mit meiner Entscheidung zu tun. Seit unserem schrecklichen Wiedersehen weiß ich, dass wir nicht zusammenpassen. Was meine Gefühle zu dir angeht, da schwanke ich seitdem. Deshalb habe ich dich getroffen. Ich hoffte, ich würde wieder so fühlen können wie vorher. Erst in diesem Haus habe ich die Klarheit gewonnen, die ich brauche. Es geht nicht mit uns. Wir sind zu unterschiedlich.«
»Sage ich doch, der weißen Lady passt meine Hautfarbe nicht. Sie sitzt auf ihrem hohen Ross und verachtet uns Maori. Aber eines sage ich dir: Meinen Kumpeln, denen kannst du nicht das Wasser reichen.«
»Barry, jetzt halt endlich mal deinen Mund!«, schrie Grace wütend. »Es liegt nicht daran, dass du ein Maori bist, verdammt noch mal. Aber wenn du es genau wissen willst: Ich habe mich in einen anderen Mann verliebt.«
»Sag ich doch, ein Pakeha hat dir den Kopf verdreht!«
»Nein, du Idiot, ich liebe deinen Bruder!« Grace hielt erschrocken inne, da war es bereits zu spät. Sie spürte nur noch den brennenden Schmerz seiner Ohrfeige auf ihrer Wange, dann hatte sich Barry auf dem Absatz umgedreht und war verschwunden.
Grace setzte sich zitternd auf einen Stuhl. Was hatte sie bloß angerichtet? Warum war ihr das nur herausgerutscht? Sein Selbstmitleid hatte sie dermaßen in Rage versetzt, dass sie gegen jede Vernunft ihr größtes Geheimnis ausgeplaudert hatte.
Jetzt kann ich nur noch den nächsten Flieger nehmen, sagte sie sich, während sie die Terrassentüren sorgfältig schloss, nicht ohne noch einen wehmütigen Blick auf die im Lichterglanz erstrahlende Stadt zu richten. Unvermittelt wandte sie sich ab, wusch die Gläser ab, die sie benutzt hatten, und verließ das Haus.
Barry hatte den Schlüssel von außen im Schloss stecken gelassen. Grace überlegte, ob sie das Haus einfach offen lassen sollte. Doch dann schloss sie entschieden ab und legte den Schlüssel nach einigem Zögern der üppig
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