Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
wollte Suzan testen. Würde sie ihr von dem Gespräch berichten? Ja oder nein? Und würde sie ihr auch davon berichten, wie sie sich verleugnet hatte?
Ein zaghaftes Klopfen riss sie aus ihrer Grübelei.
»Grace, bist du da? Ich habe Schritte gehört.«
»Ja, komm doch rein«, erwiderte Grace mit heiserer Stimme. Wie erwartet, bemerkte Suzan ohne Umschweife, dass Grace schlecht aussah.
»Es war also kein schöner Abend?«, fragte Suzan sogleich.
»Es ist aus. Ich werde ihn nicht wiedersehen. Ich empfinde nicht mehr das für ihn, was für eine Beziehung nötig ist.«
»Das ist doch prima. Freu dich doch. Und, wann wirst du dich mit seinem Bruder verabreden?«
Grace wurde knallrot.
»Gar nicht! Und jetzt lass mich in Ruhe!«, fauchte sie wütend. Suzan konnte es einfach nicht lassen. Es hätte nicht viel gefehlt und Grace hätte ihr an den Kopf geworfen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und ihr lieber erzählen, wer da eben für sie, Grace, angerufen hatte.
Sie hatte den Gedanken noch gar nicht ganz zu Ende geführt, da sagte Suzan wie nebenbei: »Warum ich eigentlich hier bin, eben hat dein Vater aus Deutschland angerufen. Er hatte wohl vergessen, dass es die Zeitverschiebung gibt.«
»Wie kommt der denn an meine Nummer? Ich habe sie nur Jenny, meiner Freundin, für Notfälle gegeben. Ob er sie von ihr hat? Mist! Und, was wollte er?« Grace konnte ihre Erregung kaum vor Suzan verbergen.
»Er hat sich gewundert, dass du dich noch nicht bei ihm gemeldet hast. Und er wollte wissen, ob es dir gut geht. Er war gerade auf dem Weg zum Flieger und meinte, er meldet sich wieder. Ich glaube, er sagte was von Urlaub.«
»Das wirst du richtig verstanden haben. Seine Neue ist sehr reisefreudig. Ständig muss er sich Urlaub nehmen«, bemerkte Grace giftig, was sie umgehend bedauerte, denn Suzan bekam wieder diesen fragenden Gesichtsausdruck.
»Dein Vater hat eine andere Frau? Hat er deine Mutter verlassen?«
Grace kämpfte mit sich, ob sie Suzan die Geschichte von Claudia und Ethan nicht einfach erzählen sollte. Was hatte sie zu verlieren? Morgen war sie fort. Und durch Ethans Anruf war ihr sein mieses Verhalten bei der Trennung ohnehin wieder so präsent, als sei die Trennung von Claudia erst gestern gewesen. Deshalb hatte sie sich auch nicht bei ihm gemeldet. Ihr Groll gegen ihn war längst noch nicht verraucht. Und allein bei dem Gedanken, dass er mit einer Frau, die jünger war als sie selbst, durch die Welt jettete und auf jung geblieben machte, wurde ihr schlecht. Zumal Dana, Ethans Neue, Claudia nicht mal das Wasser reichen konnte. Sie war eine permanent schmollende Kindfrau mit einer Mädchenstimme, die so tat, als könne sie ohne Mann nicht existieren. Sie war klein, zart und blond. Das ganze Gegenteil von der kräftigen, zupackenden Claudia. Sofort kam in Grace die Erinnerung an den Tag hoch, an dem sie Claudia gefunden hatten.
»Du wirst ja sowieso nicht lockerlassen, bevor du alles weißt«, seufzte Grace. »Ja, mein Vater hat meine Mutter jahrelang mit einer deutlich Jüngeren betrogen, und ja, es war seine Sekretärin. Man soll es nicht glauben, aber das kommt leider nicht nur in schlechten Filmen vor. Und als die dann schwanger wurde, ist sie mit ihrem dicken Bauch bei meiner Mutter aufgeschlagen. Mein Vater ist sofort zu der Frau gezogen, und meine Mutter verschwand daraufhin spurlos. Wochen später hat man sie mitsamt ihrem Wagen aus der Spree gezogen. In ihrem Abschiedsbrief hat sie mir gestanden, dass ich adoptiert worden bin, was meinen Vater total auf die Palme gebracht hat.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen. So ist er ...«, erwiderte Suzan im Brustton der Überzeugung.
Grace, die ihr Misstrauen gerade wieder halbwegs überwunden hatte, weil Suzan ihr ganz offenherzig von Ethans Anruf berichtet hatte, stutzte.
»Was heißt: So ist er?«
»Der Typ Mann, der sich mit seiner Sekretärin einlässt.«
»Aha. Und warum kannst du dir vorstellen, dass so einen auf die Palme bringt, wenn seine Frau der Tochter in einem Abschiedsbrief offenbart, dass sie adoptiert worden ist? Er musste doch verstehen, dass Claudia das Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen wollte, oder?«
»Ganz einfach. Weil sie damit erreichen wollte, dass du auf Distanz zu dem Mann gehst, der nicht einmal dein leiblicher Vater ist«, entgegnete Suzan prompt.
»So habe ich das noch gar nicht gesehen«, erwiderte Grace nachdenklich, denn der Gedanke leuchtete ihr durchaus ein. Claudia hatte einen Keil
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