Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
schwieg eine Weile, nachdem Selma ihre Erzählung beendet hatte. Sie hatte nichts ausgelassen. Nur den Namen, den Namen Wayne hatte sie nicht genannt. Was, wenn Misses Buchan diese Herrschaften der feinen Gesellschaft kannte und ihr, dem Dienstmädchen, deshalb kein Wort glauben würde? Ihrer nachdenklichen Miene nach zu urteilen, traut sie mir ohnehin nicht über den Weg, dachte Selma traurig. Sie hält mich nicht nur für eine Lügnerin und ein leichtes Mädchen, sondern womöglich auch noch für eine Mörderin.
»Nun sagen Sie Ihrem Kutscher schon Bescheid, dass er anhalten soll. Ich sehe es Ihnen doch an, dass Sie mich für eine Lügnerin halten.«
»Ich kämpfe noch mit mir. Mein Verstand glaubt dir in der Tat kein Wort, mein altes Herz aber sagt mir, dass es nichts als die Wahrheit ist. Und je älter ich werde, desto öfter höre ich darauf, was mir mein Herz rät. Ich glaube dir.«
Selma sah die alte Frau ungläubig an. »Misses Buchan, jetzt, da Sie alles wissen, können Sie mir versprechen, dass wir nie mehr über meine Vergangenheit reden? Ich möchte nämlich ein neues Leben anfangen. Mein Kind soll niemals erfahren, was man mir angetan hat«, murmelte Selma.
»Sicher, ich spreche sowieso ungern über die Vergangenheit. Sie ist unwiederbringlich vorüber, und ich werde mich daran gewöhnen müssen, dass mein Art mich verlassen hat.«
»Ist das Ihr Mann?«, fragte Selma neugierig und biss sich auf die Lippen. Sie wollte nicht aufdringlich sein.
Misses Buchan aber nickte. »Ja, es ist noch keine zwei Monate her, dass er ... Ach, Kind, er hatte noch so viel vor.« Misses Buchans Augen wurden feucht.
»Das tut mir leid«, sagte Selma leise. »Erzählen Sie mir doch von ihm.«
Die alte Dame zögerte einen Moment, aber dann begann sie mit ihrer angenehm tiefen Stimme zu sprechen.
»Wir kamen im Jahr 1861 gemeinsam aus Schottland nach Gabriel's Gully. Mein Mann wollte mich erst gar nicht mitnehmen wegen der rauen Sitten auf den Goldfeldern, aber ich war robust genug. Es war eine herrliche Zeit. Wir waren noch jung. Von dem Geld haben wir uns ein riesiges Grundstück bei Waikouaiti gekauft. Wir nannten es Otahuna, was soviel heißt wie: der kleine Hügel unter den Hügeln. Einer unserer Maorihelfer hat uns auf den Namen gebracht. Lange Jahre haben wir dort Schafe gezüchtet und die Wolle verkauft. Das Schicksal war uns gnädig, bis, ja bis wir unter tragischen Umständen unsere Tochter verloren haben. Nicht genug, dass wir den Verlust unseres Kindes zu beklagen hatten, ich konnte danach auch keine Kinder mehr bekommen, aber Art hat es mir nie vorgeworfen ...« Sie unterbrach sich und sah Selma entschuldigend an. »Jetzt plaudere ich doch von der Vergangenheit. Du musst sagen, wenn ich dich langweile.«
»Aber das tun Sie ganz und gar nicht. Sie erzählen so lebendig, dass meine kreisenden Gedanken endlich zur Ruhe kommen. Bitte reden Sie weiter, obwohl es gerade furchtbar traurig ist.«
»Ach Kind, das ist das Leben. Art hat immer gesagt, man kann nicht alles haben. Wir konnten gut von dem Export der Wolle leben, bis mein Mann irgendwann von der fixen Idee besessen war, man müsse mehr mit dem Fleisch der Tiere anfangen. Damals wurde viel Fleisch einfach weggeworfen, da keiner diese Mengen essen konnte. Er lernte Thomas Brydon von der Land Company kennen, den dasselbe Thema quälte. Wie konnte man Fleisch gekühlt nach Europa schaffen? Und sie hatten fast zeitgleich eine ähnliche Idee. Fleisch auf den weiten Weg zu bringen, schien ein Ding der Unmöglichkeit, weil es nach drei Monaten garantiert vergammelt wäre. Die beiden waren einer Lösung ganz nahe, aber dann zerstritten sie sich. Brydon tat sich mit William Davidson zusammen. Mein Mann kam auf den genialen Gedanken, unten in einem gecharterten Schiff eine Gefrieranlage einzubauen. Er investierte viel Geld in seine ehrgeizigen Pläne, aber die anderen beiden waren schneller. Der erste Versuch seiner Gegenspieler scheiterte allerdings. Die Anlage fiel noch im Hafen aus; doch dann lief die SS Dunedin am 15. Februar 1882 aus Port Chalmers aus und erreichte drei Monate später London. Und nur eine einzige gefrorene Hälfte war verdorben. Wegen der Kühlanlage haben sich sogar Passagiere geweigert, auf dem Schiff mitzufahren. Man befürchtete, die Segel würden Feuer fangen oder die Anlage würde durch den Schiffsboden brechen. Im Mai lief dann die Mataura aus und erst im Juni die Port Chalmers, die mein Mann gechartert hatte. Jedenfalls hat uns das
Weitere Kostenlose Bücher