Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Betäubungsmittel ohne Rezept. Allerdings bleibt das nicht ohne Nebenwirkungen, mein Geist wabert.
    Plötzlich bemerke ich: Ich habe eine Vagina! Das ist mir noch nie passiert. Oder selten. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern. Es stellt sich heraus: Die Geschlechtsorgane sind nur verschiedene Ausformungen desselben Phänomens in verschiedenen Dimensionen! Das heißt: Ein Mann ist eine Frau, die aus der Zeit gefallen ist. Und zwar in den Raum. Oder in eine in sich selbst gekrümmteSchleife, die aussieht wie das Zeichen für Unendlichkeit, nur fünfdimensional.
    Irritiert rufe ich nach den Pflegern. Sie verstehen mein Problem und verlegen mich in ein anderes Stockwerk. Dort gibt es weder Strings noch Schleifen, aber Schamhaare in der Duschtasse und Fußnägel in der Wanne. Ich bin verzweifelt. Da höre ich die Stimme Gottes, der die Eröffnungsworte der Schöpfung spricht: „Meine Damen und Herren! Ich erkläre die Schöpfung eines neuen Universums für eröffnet! Es werde Licht!“ Großes Hallo! Feuerwerk!
    Danach erläutert er in einem Workshop, an dem jeder für einen geringen Unkostenbeitrag teilnehmen kann, die Weltformel, die Unschärferelation und Relativitätstheorie auf ewig vereinigt. Sie lautet: Irgendwas ist immer! Das überzeugt sie alle. Heisenberg nickt, Heidegger lächelt, Thomas von Aquin hat nicht zugehört. Er ist für sein Alter schon zu lange tot.
    Da! Ein Rumoren unter meinen Füßen! Einstein dreht sich im Grab! Er will der Menschheit mitteilen, dass der Satz „Irgendwas ist immer“ exakt der Relativitätstheorie entspricht. Denn wenn E=mc 2 , dann gilt auch c 2 =E÷m, also c=√E÷m! => m muss immer ≠ null sein, da man durch null nicht teilen kann. Gott sieht das ein und zieht sich mit seinem Rechenschieber ins Paradies zurück. Dort stellt er fest, dass man für diese Erkenntnis nicht mal mehr die Wurzel hätte ziehen müssen. Aber wer zieht nicht gerne ab und zu eine Wurzel? Warum nicht? Bitte schön.
    Beim Begriff „Wurzel ziehen“ stutzt mein Therapeut, ich habe es genau gesehen. Er setzt wahrscheinlich voraus, dass seine Assoziationen zum Begriff Wurzel den meinen entsprechen, und dass mein Ansatz auf Penisverlustängstehinweisen könnte. Ich muss ihn enttäuschen. Ich hatte noch nie Angst, meinen Penis zu verlieren. Ich habe im Leben schon fast alles verloren, Schlüssel, Geld, ganze Portemonnaies, Freunde, einen Sack Kartoffeln (vom Fahrrad die Böschung runter in den Baggersee, anschließend das Fahrrad selbst, als ich es beim Versuch, den Sack Kartoffeln zu bergen, unverschlossen stehen ließ), den Verstand und Zeit, sehr viel Zeit, aber noch nie den Penis, nicht mal einen einzelnen Hoden, der sich ja möglicherweise in gnadenloser Selbstüberschätzung für eine Melone gehalten und dann auf Reisen begeben haben könnte. Nicht einmal das!
    Die Interpretation von Assoziationen ist kompliziert, denn sie setzt voraus, dass diese Assoziationen mit Bedeutungen versehen und gewertet werden. Was bedeutet ein Hund in einem Traum? Steht er für etwas anderes? Oder ist er einfach nur ein Hund, weil Hunde eben in Träumen vorkommen, da sie auch im richtigen Leben existieren und der Traum bekanntlich so tut, als wenn er wahr wäre und das so intensiv, dass man am Ende glauben könnte, die Realität wäre ein Traum, den wir im Traum träumen – mit stinkenden Rottweilern und Rehpinschern im Handtäschchen. Träumen Hunde von Melonen?
    Und was bedeutet die Melone im Traum eines Hundes? Mit dieser Frage öffne ich die Augen. Der Tag beginnt – zum wiederholten Male.

SCHIEBETÜR
     
    Auf dieser Schiebetür tummeln sich Millionen von Mikroben, die sich ausschließlich mit dem Prozess der Fortpflanzung beschäftigen. Es stellt sich die Frage, ob nicht jede Stufe der Evolution hin zu komplexeren Lebensformen einen Verlust der Effektivität bedeutet, einen Rückschritt in Bezug auf das Ideal einer Fokussierung des Lebens auf das Wesentliche, nämlich Verdauung und Reproduktion.
    2.500 Jahre Philosophie haben nicht ausgereicht, um einen tieferen Sinn im Leben zu finden als das Leben selbst. Der Mensch, im Grunde nicht mehr als eine komplexe organisch-chemische Weiterentwicklung der Amöbe, unfähig zur Erkenntnis seiner Bestimmung und geworfen in Sein und Zeit, erkennt nicht einmal sich selbst, geschweige denn andere oder das Wesen seines Seins. Wir sind zurückgeworfen auf unsere Ich-Identität, auf unser biologisches Werden und Vergehen, was der moderne Mensch zusammenfasst in den Worten: