Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
sportlichen Ehrgeiz, ideologische Ideen oder eine Religion. Das macht die Sache aber nicht besser. Ein Mord bleibt ein Mord, auch wenn man meint, für eine gute Sache unterwegs zu sein.Das war schon früher nicht jedem bekannt. In den Siebzigerjahren, zu Zeiten der in der Folge verstorbenen Baader und Meinhof, konnte Mord für viele auch eine gute Sache sein, wenn er denn der Volksbefreiung diente. Heute weiß ich: Man sollte auch als tiefgläubiger Mensch, egal ob religiös oder ideologisch, in Betracht ziehen, dass sich jeder Glaube irren kann, sogar der eigene. Deshalb sollte man darauf verzichten, aus sakralen oder politischen Motiven das Leben anderer zu finalisieren. Dieser Grundsatz mag altmodisch erscheinen, aber ein bisschen nostalgischer Moralismus sollte erlaubt sein.
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Meine Müdigkeit hat sich mit dem Bier verbündet. Viel zu früh fordert mein Körper die Beendigung aller aktiven Tätigkeiten. Wie das Leben, so geht auch der Tag irgendwann vorbei, oft zu früh.
Was hat er gebracht? Erleichterung. Die Stunden sind dahingegangen, keiner hat gestört. Ein paar kleine klingelnde Störenfriede lassen sich verschmerzen. Noch ein Bier. Was für ein angenehmer, reizarmer Tag.
Andere Menschen sind anderweitigen Tätigkeiten nachgegangen, ohne in mein Leben einzudringen. Danke dafür. Nichts hat wehgetan. Kein Hunger, kein Durst. Alles in Ordnung. Fast mehr, als man erwarten kann. Viele Menschen auf dieser Welt sehnen sich nach einem solchen Tag. Wenn ich das Geschehene des heutigen Tages noch einmal durchgehe, muss ich feststellen, dass ich viel gelacht habe, über Frösche, die Zeugen Jehovas (obwohl sie nicht mal geklingelt haben), die DKP-Darmstadt, dieAsymmetrie der Materie, den Menschen an sich und das Leben, diesen Sturm aus Scheiße, Glückshormonen oder Geld, je nach Blickwinkel.
Aristoteles hat festgestellt, Glück sei, wenn es gerade mal nicht wehtut. Da hatte er sich wahrscheinlich vorher den Finger in der Wagentüre eingeklemmt.
Man wirft bei uns vor allem jungen Leuten gerne vor, sie würden nur den Spaß im Leben sehen. Dann schimpft man sie Hedonisten. Aber das griechische Wort „Hédoné“ bedeutet nicht nur „Spaß“ oder „Lust“, sondern auch Seelenfrieden und Schmerzfreiheit. Und gibt es etwas Schöneres als Schmerzfreiheit? Wer anderen vorwirft, sie seien Hedonisten, der soll sich von mir aus mit dem Reitpeitschchen versohlen lassen. Ich verzichte darauf, mitzumachen. Wenn alle, die den Spaß verachten, schweigen würden, wäre schon erheblich weniger Schmerz in der Welt.
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Andererseits ist jedem denkenden Menschen klar, dass man nicht immer nur Spaß haben kann. Wie könnten wir Freude empfinden, wenn wir den Schmerz nicht kennen würden? Gibt es Glück ohne Unglück? Niemals! Kein Lottosechser mit fünf Millionen Euro Gewinnsumme kann darüber hinwegtäuschen, dass es schon höhere Jackpots gab. Und schon beginnt man sich zu ärgern …
Und es ist gut, so zu denken! Weil es kein Glück geben kann ohne Erfahrung des Unglücks. Ich selbst habe einmal in einem Preisausschreiben gewonnen, mich wahnsinnig gefreut und bekam dann einen Zinnteller mit dem Aufdruck von Spitzwegs „Armen Poeten“. Unglück im Glück.
Keine Freude ohne Ärger. Ich bin wirklich in der Lage, mich ausgiebig und aufrichtig zu freuen. Aber ich ärgere mich auch ab und zu! Wenn auf der Autobahn wieder jemand auffährt, mit Blinker und Lichthupe, zwei Meter hinter mir, mit 220. Wie kann man so rasen?! Das ist gefährlich! Noch schlimmer aber sind diese sturen Typen. Denen kann man mit Vollgas, Blinker und Lichthupe fast in den Kofferraum hineinfahren, die Drecksäcke gehen einfach nicht rüber! Wahnsinn!
Und der Langsame fährt immer vorneweg! Das ist ein Naturgesetz. Das ist etwas Unveränderliches, Gottgegebenes, ein physikalisches Gesetz, das wir nicht mehr hinterfragen können, sondern hinnehmen müssen. Es ist, wie es ist! Die Erde kreist um die Sonne. Die Sonne kreist um das Zentrum unserer Galaxie, aber nach sechzehn Metaxa kreist doch wieder alles um mich. Der Rausch macht uns zum Zentrum.
Unsinn. Der Rausch zerstört das Zentrum. Er macht, dass alles auseinanderfällt, nicht nur im Leben, auch auf der Autobahn. Aus parallel laufenden Fahrbahnmarkierungen werden Rautenmuster, aus Scheinwerferpaaren Lichterketten und aus Leitplanken Bumper. Dann macht es „bong“, „katang“ und „blööötz“, und man fragt sich, warum die Schneidezähne nicht mehr im Mund sind, wo sie hingehören,
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