Das Geheimnis des Scriptors
er war. Er verbarg etwas.
»Ich will nicht lange herumreden«, sagte ich. Für irgendwas Kompliziertes war ich viel zu betrunken. »Ich hoffte, Sie könnten mir erklären, warum sich wohl ein Scriptor, der für die Klatschspalte des Tagesanzeigers schreibt, mit einem Mann in Verbindung gesetzt hat, der angeblich mal Pirat war.«
»Warum fragen Sie ihn nicht?«
»’tschuldigung, ich dachte, das hätte ich erklärt. Der Scriptor ist verschwunden.«
Vielleicht verdunkelte ein Stimmungswechsel Caninus’ Gesicht. »Sie glauben, er sei entführt worden? Nun ja, Sie wissen, wie das in der alten Zeit ablief. Wenn Piraten einen Gefangenen gemacht hatten, der etwas wert war, wurde den Leuten, die ihn kannten, von einem Mittelsmann eine Nachricht mit einer beträchtlichen Lösegeldforderung überbracht.«
»Halten Sie das für möglich?« Mir war nie in den Sinn gekommen, dass sich Diocles in den Händen von Piraten befinden könnte. Das kam mir sehr unglaubwürdig vor.
»Natürlich nicht«, erwiderte Caninus trocken. »Lösegeld für Gefangene zu verlangen ist Geschichte. Jetzt haben wir die Pax Romana. Gesetzlosigkeit existiert nur außerhalb der Grenzen des Imperiums. Außerdem«, fügte er beinahe höhnisch hinzu, »wäre ein Scriptor nicht viel wert, stimmt’s?«
Die Kenntnisse, die er vor uns verbarg, hätten wichtig sein können, doch ich traute Caninus nicht genug, das laut auszusprechen. »Demnach wird wohl jemand meinem Scriptor eins auf die Rübe gegeben und ihn nach einer Rauferei unter den Bodenbrettern einer Taverne begraben haben.«
»Sie müssen nur herausfinden, wo er für gewöhnlich getrunken hat«, stimmte Caninus zu, als wäre ich ein Amateur. »Dann nehmen Sie ein Stemmeisen und heben die Bodenbretter hoch. Er hat bestimmt nicht über Piraten geschrieben«, versicherte mir Caninus. Er klang viel zu verbindlich. »Ihr Scriptor kann sich mit so vielen Kilikiern in Kontakt setzen, wie er will, aber sie sind jetzt alle treue römische Bürger. Etwas anderes kann der Scriptor gar nicht äußern. Der Tagesanzeiger ist ein Regierungssprachrohr. Der Scriptor ist gehalten, den Glanz der Pax Romana zu verstärken.«
Das stimmte. Infamia würde jedoch erlaubt sein zu veröffentlichen, falls er berichtete, dass die glorreiche Pax Romana unter Bedrohung stand.
Tat sie das? War das die Erklärung für Caninus? War das der Grund, warum dieser Experte, der sich seiner Aussage nach mit einem nicht mehr existierenden Bereich beschäftigte, mit seinen drei Triremen in Portus vor Anker gegangen war?
Ihn das zu fragen hatte keinen Zweck. Caninus würde die ganze Nacht darüber schwafeln, was vor hundert Jahren passiert war. Er hatte nicht die Absicht, uns zu erzählen, was diese Woche passierte.
Ich blickte zu Petronius. Wir hatten unsere eigene Situation zu bedenken. Wenn wir uns weiteren Ausschweifungen hingaben, würden Petro und ich unter Bedrohung geraten – von Maia und Helena. Irgendwie mussten wir unsere nervtötenden Gäste ermutigen, nach Hause zu gehen. Morgen konnten wir uns immer noch Entschuldigungen für Privatus überlegen wegen der Plünderung seiner Weinvorräte, die weit über die Gesetze der Gastfreundschaft hinausging. Heute Abend mussten wir erst mal die beiden Männer loswerden, die seinen Wein tranken.
Glauben Sie mir, der restliche Abend verlief mühsam.
Schließlich ging der Schiffszwieback als Erster. Er verschwand mit einer noch ziemlich vollen Amphore rhodischem Roten auf der Schulter. Der Haushofmeister, ein vernünftiger Bursche, hatte dafür gesorgt, dass im Verlaufe des Gelages die Qualität und die Kosten der Getränke verringert wurden, um den Schaden zu begrenzen. Seine letzte Wahl war angemessen. Rhodos war eines der historischen Piratenverstecke, die Pompejus ausgemerzt hatte. Rhodischer Roter ist ein passabler Tischwein, der den Transport gut verträgt, was daran liegt, dass dieser strenge Inselwein traditionell mit Meerwasser verschnitten wird.
Brunnus war schwerer loszuwerden als Caninus. Als sein Kontaktmann ging, rutschte Brunnus von seiner Liege auf den Marmorboden; Petro und ich waren außerstande, ihn hochzuhieven. Sklaven tauchten jedoch auf, was mich vermuten ließ, dass sie daran gewöhnt waren, nach ausgedehnten Trinkgelagen aufzuräumen. Ich nahm ebenfalls an, dass sie gelauscht hatten.
»Caninus …«, nuschelte Brunnus. Er wollte sich unbedingt weiter unterhalten. »Mein Kontaktmann …«
»Ja, er ist hervorragend«, versicherte ich ihm. Ich saß auf
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