Das Geheimnis des Scriptors
kennenlernte, doch in ihrem Fall hätte ich hinzugefügt: wütend auf Männer, bösartig zu mir und äußerst helle. Unter den Mädchen, die ich zu der Zeit kannte, stach sie hervor. Hätte ich irgendwelche Frauen gehabt, hätte ich ihnen allen die Scheidungspapiere um die Ohren gehauen. »Das hat sie verletzlich gemacht, Marcus. Vielleicht hat sie sich mir geöffnet, weil ich ihr gestand, ich hätte mich auch mal in einen gutaussehenden Briganten verliebt.«
Ich blickte sie wohlwollend an. »Helena Justina, was könnte denn das für ein Brigant gewesen sein?«
Helena lächelte.
Einzelhändler für modische Haushaltsgüter gehören nicht zu meinen Lieblingsbürgern, aber als Vater von Töchtern öffnete sich in meinem Herzen ein tiefer Abgrund von Mitgefühl für Posidonius. Ich hinterließ ihm eine Anweisung, wie er sich mit Camillus Justinus in Rom in Verbindung setzen konnte, wenn er professionelle Hilfe brauchte – falls Rhodope weglief, setzte ich nicht hinzu. Mit etwas Glück würde sie nur Trübsal blasen, und bis ihr schließlich aufging, dass Theopompus nicht kommen würde, könnte schon ein anderer grauenerregender Bursche herumlungern, der sie von ihrem Liebeskummer ablenkte.
Rhodope war vor einigen Wochen entführt worden, während der Zeit, als Diocles noch in seiner Unterkunft in Ostia war. Ich überprüfte es, und der Scriptor hatte sich weder zu der Zeit noch seither mit Informationen an die Familie gewandt.
Diocles könnte aus einem vollkommen anderen Grund in Ostia gewesen sein, oder er mochte von den Entführungen gewusst haben, war aber davon abgehalten worden, die Geschichte zu verfolgen. Die Art, mit welcher der mysteriöse Illyrier stets betonte, dass die Entführer gewalttätig seien, machte mir Sorgen. Falls der Scriptor damit herumgepfuscht hatte, ließ das für sein Schicksal nichts Gutes ahnen.
XXV
A lle anderen Namen auf der Liste erwiesen sich als Nieten. Papa stellte mich Leuten vor, die einige von den Betroffenen kannten, aber die Männer, mit denen ich reden musste, die Ehemänner, die das Lösegeld gezahlt hatten, waren alle aus der Stadt verschwunden. Die meisten stammten aus entfernten Provinzen und waren dorthin zurückgekehrt. Vielleicht würden sie jetzt nie wiederkommen.
Für die Entführer waren diese Opfer nur Gesichter in der Menge, aber wenn die Händler reich genug waren, um sie zu schröpfen, hatten sie Rom etwas zu bieten. Die Stadt verlor wertvollen Kommerz. Mich machten die menschlichen Kosten jedoch viel wütender. Die Leute im Emporium sprachen alle von freundlichen, klugen Kaufleuten, guten Familienvätern, was der Grund war, warum sie mit ihren Frauen reisten. Als Helena und ich ihre früheren Unterkünfte aufsuchten, spürten wir, dass sie eine starke Aura von Bedrängnis und Furcht zurückgelassen hatten.
Nach einigem Nachdenken und Diskussionen mit Helena ging ich über den Aventin in den Zwölften Bezirk zum Hauptquartier der Vierten Kohorte. Ich ging allein. Petronius Longus würde mir nicht dafür danken. Ich wollte Marcus Rubella aufsuchen. Rubella war der Tribun der Kohorte, Petros verabscheuter Vorgesetzter. Ich fand ihn im Allgemeinen gar nicht so schlimm, wenn man über ein paar Schwächen hinwegsah. Er war ein unqualifizierter, pingeliger, eigennütziger Prinzipienreiter, der seinen Schreibtisch aufräumte und den ganzen Tag Rosinen aß. Rubella war ein Bursche, mit dem Petro und ich nie einen Becher Wein trinken würden – was auch nichts machte, weil er uns nie dazu einlud.
Dem Fußvolk von der anderen Hälfte der Kohorte, die im dreizehnten, meinem Heimatbezirk, patrouillierten, war ich besser bekannt, aber selbst im zwölften war ich kein fremdes Gesicht. Latrinenhumor schlug mir entgegen. Ich gab Entsprechendes zurück, dann wurde mir gestattet, sofort den Tribun aufzusuchen. In Rubellas Büro war nie viel los, und er wusste, dass ich nur zu ihm kam, wenn irgendwas Großes vorging, mit dem ich nicht allein fertig wurde. Er war sich bewusst, dass ich damit zu Petro gegangen wäre, hätte der sich in Rom befunden.
»Marcus Rubella, ich habe in Ostia gearbeitet. Soviel ich weiß, übernimmt dort demnächst die Abordnung der Vierten.«
»An den Iden. Und was kann bis dahin nicht warten, Falco?«
»Ich bin da über eine üble Sache gestolpert. Scheint schon eine ganze Weile zu laufen. Die anderen Kohorten haben es bisher nicht in den Griff bekommen …« Rubella bleckte haifischartig die Zähne, als würde er meine Schmeichelei
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