Das Geheimnis des Scriptors
ihn wegzerren. Es gab nichts, was er hätte tun können, die Hitze war viel zu intensiv. Also setzte er sich auf die Straße und jammerte immer wieder: ›Diese Dreckskerle, diese Dreckskerle!‹. Er meinte die Männer, die ihn ausgelacht hatten, die aus dem Wachlokal. Er meinte, sie hätten ihm zu Hilfe kommen müssen, als er sie anflehte, aber sie ließen Vestina einfach sterben.«
XXXIII
I n gedämpfter Stimmung bezahlte ich meinen Fisch und ging langsam nach Hause.
Die sich auf der Hauptstraße drängende Menge kam mir aufdringlich und grob vor. Alle wirkten lebensfroh und aufstrebend in dieser multikulturellen Hafenstadt, doch Korruption nagte am Herzen des örtlichen Gefüges, stank wie verrottender Tang. Viele Städte haben stinkende Nebengassen. Hier war der Geruch unaufdringlich, hing aber über allem. Die Rüpel von der Bauhandwerkerkorporation beuteten ihre eigenen Leute aus und wurden von den Vigiles sich selbst überlassen. Zugereiste aus öden Provinzen fielen wie Parasiten über andere Ausländer her. Das Leben eines jungen Mädchens wurde zerstört. Sie erkannte ihren Verlust nicht oder wie es ihren Vater ruinieren würde. Ein Scriptor war verschwunden. All diese geschäftigen Menschen auf den Straßen schubsten und drängelten, all diese schwerbeladenen Fahrzeuge ratterten und rumpelten im Namen des Kommerz durch die sonnigen Straßen, ohne der besudelnden Flut, die in der Dunkelheit unter den warmen Kais von Ostia und Portus heranschwappte, Beachtung zu schenken.
Ich ging den gesamten Decumanus Maximus entlang, ein stiller Mann mitten in all dem Trubel. Ich dachte an jemanden, der ebenfalls einsam diese Straße entlanggewandert war. Ich fragte mich, ob Trauer das Einzige war, das Diocles’ Gefühle aufgewühlt hatte, oder ob auch er von brennender Wut auf diese Stadt erfüllt gewesen war. Ich wusste nicht, ob ich dem Ziel meines Auftrags, Diocles zu finden, näher gekommen war, aber als ich an diesem Abend an ihn dachte, wurde mir klar, dass diese mir zunächst einfach vorgekommene Aufgabe dunklere Züge angenommen hatte.
Ich hoffte, dass er hier war. Ich hoffte, dass er sich in der Nähe aufhielt. Ich wollte ihn finden, wie er rührselig bei einem seiner einsamen Abendessen in einer Taverne seinen Kummer ertränkte. Aber ich fürchtete immer stärker um ihn.
Wie gut, dass ich bei dem Fisch so großzügig zugegriffen hatte. Wir hatten das Haus voller Besuch. Nachdem wir meine Mutter losgeworden waren, war uns plötzlich Helenas Mama zugeflogen, ganz zu schweigen von ihrem Vater und ihrem jüngeren Bruder. Alle waren gekommen, um Aelianus zu verabschieden, dessen Schiff am nächsten Tag nach Griechenland auslaufen sollte. Zum Glück wurde nicht von mir erwartet, sie alle unterzubringen. Senatorenfamilien übernachten auf Reisen immer in der Villa irgendeines edlen Freundes. Sie haben ein Talent dafür, stets eine zu finden, wo besagter Freund gerade abwesend ist und sie nicht behelligen kann. Anders als meine Familie würde sich der heutige Verwandtenbesuch auf ein nahe gelegenes Anwesen zurückziehen, um dem traditionellen Patrizierbrauch zu huldigen – das Bettzeug und die Lieblingssklaven des Besitzers zu kritisieren, bevor sie ein sehr kurzes Dankesschreiben und Stapel dreckigen Geschirrs zurückließen. Sklaven waren vorausgeschickt worden. Sie sollten sich vergewissern, dass die Betten bereitstanden und heißes Wasser im Badehaus war. Heute Abend würden die Besucher zum Essen bei uns bleiben. Decimus Camillus und Julia Justa wollten ihre Enkeltöchter sehen.
Die Kochgelegenheit in der Wohnung reichte dafür nicht aus, also entzündeten wir ein offenes Feuer unten im Hof, wo ich den Fisch schichtweise zubereitete. Er war saftig und mit Kräutern gewürzt. Männerarbeit. Ich musste meine Position gegenüber dem Senator und seinen Söhnen verteidigen. Sie hatten keine Ahnung, wie man ein Holzfeuer anfacht, und ich war skeptisch, was ihre Aufspießtechnik betraf. Fragen Sie mich nicht, wo das Feuerholz herkam – obwohl ich hörte, dass der örtliche Bäcker am nächsten Morgen Probleme hatte, seine Öfen zu befeuern.
Wir übernahmen den ganzen Hof. Die anderen Mieter konnten nur neidisch zuschauen und sich beschweren, dass wir ihnen den Zugang zum Brunnen versperrten. Helena und ihre Mutter kauften weitere Lebensmittel ein. Es gab einen kleinen Markt direkt innerhalb der Porta Fortuna. Senatorenfrauen gehen normalerweise nicht persönlich einkaufen, doch Julia Justa hatte ein gutes
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