Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
fallen und zeichnete die Galeone mit dem Finger auf den staubigen Fußboden. Sie zeigte auf verschiedene Stellen und murmelte leise vor sich hin.
Nik verstand kein Wort. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, sie zu schütteln, damit sie ihm sagte, welche Möglichkeiten sie hatten.
Alexej hob den Kopf. Stumm starrte sie in den Nebel vor dem Fenster. Dann lächelte sie.
»Der Kompass«, flüsterte sie. Ellie hievte sich aus der Hängematte. Sie sah ängstlich aus. »Finden wir Amsterdam ohne Kompass?«, fragte sie.
»Ja, wir haben Karten, die das Ufer abbilden, und wissen genau, wo wir sind. Doch von Ålborg segeln wir gen Osten und dann brauchen wir den Kompass. Wir kommen erst im Herbst zurück, wenn der Nebel die See einhüllt und die Sterne selten zu sehen sind.«
Alexej erholte sich erstaunlich schnell von ihrer Verletzung, und Nik konnte ihre Rückkehr kaum erwarten, wenn sie zur Wache an Deck ging. Sie brachte schließlich nicht nur Lebensmittel, sondern auch Nachrichten von den Ereignissen auf dem Schiff zu ihnen in die Kajüte. Der Nachmittag verging viel zu langsam. Es wurde dunkel und sie hatten noch immer nichts von Alexej gehört.
Nik verschlang die Finger ineinander, um sie kurz darauf wieder zu lösen und sich durch die Haare zu fahren. Er fasste seine Locken im Nacken mit einem Lederband zusammen, ging einen Schritt vor und wieder zurück, lehnte sich gegen die Bordwand und trat dann vor die Hängematte.
Ellie legte ihre Hand auf seinen Arm. Für einen kurzen Augenblick konnte er still stehen bleiben und tief einatmen, doch dann trieb es ihn wieder durch die Kabine. Als er es kaum noch aushielt, hörten sie Geräusche vor der Tür. Sie schlichen zur Rückwand und duckten sich hinter die Truhe.
Die Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Nik hob den Kopf und spähte über das Holz.
Alexej stand mitten im Zimmer. Sie hielt etwas zwischen den Fingern, das wie ein eckiger flacher Stein aussah. Nik erkannte das Weicheisen, das unter der Papierrose befestigt war, damit sich der Kompass nach Norden ausrichtete. Ohne das Eisen drehte sich die Rose mit jedem Ruck, der durch das Schiff ging, in eine andere Richtung.
Alexej lächelte triumphierend.
»Wir nehmen Kurs auf Amsterdam!«
Carmen hob die Hand und klopfte an die Tür des Spiegelmachers. Sie wusste nicht, was sie sagen würde, wenn er öffnete. Würde sie es über sich bringen, den Spiegel zurückzugeben, den er ihr geschickt hatte? Ihr Herz klopfte wild gegen ihr reich besticktes Mieder. Langsam hob sie das kleine Kunstwerk, das sie mit schwitzenden Fingern umklammert hielt. Ihr Haar war modisch frisiert, ihr Gesicht sorgfältig mit Puder bedeckt. Sie wirkte beherrscht und entschlossen, aber in ihren Augen leuchtete das Feuer, das in ihr brannte, und das Verlangen, das sie von innen verzehrte. Endlich spürte sie wieder etwas anderes als Langeweile oder Enttäuschung.
Sie hörte Schritte hinter der Tür, sonst war es still im Haus, wie sie gehofft hatte.
Er öffnete die Tür und streckte ihr eine Hand entgegen. Sie ergriff sie, ohne zu zögern.
Das Schiff segelte in der Nähe der Küste, und Alexej verglich Stunde um Stunde die Umrisse an Land mit den Karten, die Dünen, Türme und Wälder zeigten.
Ellie fragte unaufhörlich nach niederländischen Worten und Nik antwortete ihr gedankenverloren.
Als sie den Kurs wechselten und Richtung Osten segelten, war auch Ellie von Niks Unruhe angesteckt.
Es gab nichts mehr zu tun und nichts mehr zu planen. Sie hatten schon vor Tagen beschlossen, zuerst zu Niks Eltern zu gehen und nach Benthe zu fragen. Nik wollte wissen, ob es ihr gut ging. Wenn ihr neuer Meister erst seit etwa einem Jahr in der Stadt war, konnte er durchaus mit der Gilde zu tun haben. Ellie wiederholte ihre Pläne immer wieder auf Niederländisch, und Nik stellte erstaunt fest, wie viele Worte sie in der kurzen Zeit schon gelernt hatte.
Sie starrten aus dem Fenster und warteten, während die Umgebung quälend langsam an ihnen vorbeizog.
Es war dunkle Nacht, als Amsterdam endlich in Sicht kam. Nik streckte den Kopf weit aus dem Fenster, um die Lichter zu sehen, die den Himmel über den Häusern in ein schmutziges Orange tauchte. Er hätte alles dafür gegeben, was er besaß, um von einer Mastspitze weit über dem Meer auf die Stadt blicken zu können. Als es nach dem Anlegen auf dem Dreimaster endlich ruhiger wurde, schmuggelte Alexej die beiden an Land.
Nik atmete die Luft tief ein und sah sich auf dem Steg um.
Weitere Kostenlose Bücher