Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
und einem Bett, in dem niemand lag. Es raschelte noch einmal. Das Geräusch kam aus dem Schrank. Luuk ging zu ihm herüber und legte das Ohr an die Tür. Jemand atmete hinter der Wand. Luuk zögerte kurz, schließlich konnte darin ein weiterer Lauscher sein, der ihn angriff, sobald er die Tür öffnete.
Er legte noch einmal das Ohr an den Schrank. Es klang, als würde jemand nach Luft ringen. Luuk konnte nicht anders, als die Schranktür zu öffnen. Was er darin vorfand, übertraf all seine Erwartungen.
Benthe blickte auf und blinzelte. Jemand stand vor ihr und sie drückte sich gegen die Schrankwand.
»Alles wird gut. Hab keine Angst.«
Die Stimme kam ihr bekannt vor. Die Gestalt war kleiner als Heinrich Sehfeld, aber der breite Rücken füllte die ganze Schranktür aus, und sie konnte nicht sehen, ob der Mann allein war.
Er kniete sich vor den Schrank und jetzt konnte sie ihn erkennen: Es war Luuk. Sie drückte sich mit dem Rücken fest an die Wand und beobachtete ihn ängstlich. Mit ihren Gedanken wollte sie ihn dazu bringen zurückzuweichen. Als Luuk sich zu ihr in den Schrank hineinbeugte, hielt Benthe den Atem an. Sie spürte das Holz in ihrem Rücken und konnte nicht weiter vor ihm fliehen. Doch Luuk griff in ihren Nacken und löste mit wenigen Handgriffen den Knoten ihres Knebels. Benthe spuckte den Stoff aus und hustete. Sie war viel zu überrascht, um irgendetwas zu sagen. Was hatte Luuk mit ihr vor? Brachte er sie zum Spiegelmacher in die Werkstatt hinunter? Luuk griff unter ihre Arme und hob sie aus dem Schrank. Dann durchtrennte er ihre Fesseln mit seinem Messer.
Sie stolperte einen Schritt auf die Tür zu, um die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. Sie würde an diesem Abend nicht noch einmal starr vor Entsetzen dastehen und sich fesseln lassen. Luuk nahm ihre Hand und hielt sie zurück. Er legte einen Finger an die Lippen und zeigte dann zur Decke, wo sich der Schlafraum der Lehrlinge befand.
»Heinrich hat gerade das Haus verlassen, aber wir müssen leise sein, damit wir die Mädchen nicht wecken.«
Benthe zögerte einen Augenblick. Der Junge neben ihr sah wirklich besorgt aus und erinnerte sie kaum noch an den raufenden Flegel, der ihr früher immer Spinnen ins Kleid gesteckt hatte. Sie nickte und ging neben ihm die Treppe hinunter. Luuk öffnete die Tür und spähte hinaus. Dann verließen sie das Haus des Spiegelmachers und eilten über den Hof zur Straße.
Schweigend gingen sie an der Gracht entlang. Luuk drehte sich immer wieder um, wenn er Geräusche hörte. Als sie an einer Ecke stehen blieben und er sich zu Benthe wandte, um zu fragen, wohin sie wollte, stürzte sich jemand auf ihn und brachte ihn zum Taumeln. Luuk fiel auf die Straße und fing sich mit den Händen ab, um nicht mit dem Gesicht auf das Pflaster zu schlagen.
Jemand rollte von ihm herunter und trat ihm in die Rippen. Benthe schrie und eine weitere Person rief etwas. Luuk verstand kein Wort, denn das Blut rauschte in seinen Ohren. Er drehte sich zur Seite und hielt die Arme schützend vor sein Gesicht, wie er es in der Kneipe gelernt hatte. Dann trat er dem anderen von hinten gegen die Kniekehlen. Er hatte getroffen und jemand fiel neben ihn auf das Pflaster. Luuk wollte schneller auf den Beinen sein als sein Angreifer und stützte die Arme auf. Dann schrie Benthe wieder und trat zwischen sie. Luuk sah Niks Gesicht neben sich auf dem Pflaster liegen.
»Was machst du hier?«, fragte Luuk und hielt sich die schmerzenden Rippen.
»Ich rette Benthe vor dir und deinem verrückten Spiegelmacher.«
Luuk lachte. Doch er bereute es umgehend, denn die Schmerzen in seiner Seite waren unerträglich. Benthe streckte ihm die Hand hin und half ihm langsam auf die Beine. Auch Nik hatte sich mittlerweile wieder aufgerichtet.
Neben ihm stand ein Mädchen. Ihre roten Haare leuchteten wie Feuer in der nebeligen Nacht.
»Er hat mich vor Heinrich gerettet«, sagte Benthe atemlos.
»Warum sollte der uns helfen?«, fragte Nik und schnaufte.
Luuk starrte ihn an und stemmte einen Arm in die Seite. Er blieb stumm. Sein Gesicht lag halb im Dunkeln und Nik wusste seinen Ausdruck nicht zu deuten. Hatte er gerade gelächelt?
»Lasst uns nicht hier reden, das ist zu gefährlich«, verlangte Benthe und zeigte mit dem Arm die Straße entlang. Das Haus des Spiegelmachers war an der Ecke noch zu sehen.
Doch Nik wollte nicht einen einzigen Schritt neben Luuk durch die Stadt gehen. Er musste sofort klären, weshalb er Benthe herausgebracht hatte.
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