Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
musterte das Mädchen, das im Nachthemd vor ihr kniete.
»Du erinnerst dich an mich?«, fragte sie und reichte ihr die Hand.
Benthe zögerte. Dann nickte sie, ohne den Kopf zu heben. Mit einer Lüge würde sie diese Frau nicht hinters Licht führen können. Schließlich hatte Carmen de Witt sie zu dem Spiegelmacher in die Lehre gegeben. Ihre Mutter hatte keinen anderen Rat gewusst, als Helena van Leeuwenhoek auf eine Ausbildung für Benthe bestanden hatte.
Carmen seufzte. Dann zog sie Benthe am Arm hoch. Ihr Griff war schmerzhaft. Die Frau des Stadtregenten stürmte die Treppe hinauf und zerrte Benthe hinter sich her.
Der Spiegelmacher lag auf dem Bett und schnarchte. Carmen rief laut seinen Namen, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Mit geübter Hand entzündete sie die Tranlampen, die an der Wand befestigt waren.
Heinrich setzte sich auf. Er starrte Benthe an. Sie fand nichts von der Wärme und Geduld in seinem Blick, von der sie im Lagerhaus erzählt hatte. Kalt und gleichgültig betrachtete er sie aus seinen hellen blauen Augen.
»Sie ist im Haus herumgeschlichen und hat mich gesehen. Wenn mein Mann etwas erfährt, ist alles aus«, keifte Carmen.
Heinrich nickte. »Ich kümmere mich darum. Geh nach Hause.«
Carmen verließ das Zimmer. Wenig später schlug unten die Tür zu.
Benthe wollte weglaufen oder dem Meister alles erklären, doch sie brachte kein Wort über die Lippen und auch ihre Füße gehorchten ihr nicht.
Der Blick aus seinen kalten Augen lähmte sie.
Dann stand Heinrich auf und zog sich ein Hemd über die nackte Brust. Anschließend nahm er das Laken vom Bett und riss es in Stücke.
Einen Streifen legte er in Benthes Mund, einen weiteren verknotete er in ihrem Nacken, damit sich der Knebel nicht lösen konnte. Bald bekam sie kaum noch Luft und sah schwarze Punkte vor ihren Augen flimmern. Sie versuchte, sich zu beruhigen und durch die Nase zu atmen, um die Übelkeit zu verringern und nicht zu ersticken. Heinrich trat hinter sie und band mit dem Stoff ihre Hände auf dem Rücken zusammen.
Unten fiel die Tür noch einmal ins Schloss. War Carmen mit einem schlechten Gewissen zurückgekehrt, um nach ihr zu sehen? Oder wagten sich Nik und Ellie in das Haus, um sie zu suchen? Sie wollte schreien und die Freunde warnen, aber sie brachte kaum mehr als ein leises Wimmern heraus.
Unten ertönten Schritte.
Heinrich öffnete den hölzernen Wandschrank und stieß sie hinein. Benthe fiel mit dem Gesicht zwischen Decken und Kleider, die alle nach ihrem Meister rochen. Sie drehte sich angewidert um und er sah ihr mit seinem eisigen Blick für einen Moment direkt in die Augen. Benthe spürte, wie die Kälte ihren Rücken hinaufstieg und sie schaudern ließ.
Dann warf der Spiegelmacher die Tür zu und Dunkelheit umgab sie.
Als Luuk die Werkstatt betreten hatte, schlug er die Tür laut zu. Er wollte nicht von den Nachbarn gesehen werden und benutzte deshalb den Eingang zum Hinterhof, wie Heinrich es angeordnet hatte. Doch er fürchtete sich davor, Heinrich zu überraschen. Er wusste nicht, wozu der Spiegelmacher fähig war, wenn er sich bedroht fühlte, und wollte es nicht darauf anlegen, es herauszufinden. Lieber machte Luuk lärmend auf sich aufmerksam, sobald er das Haus betreten hatte. In der Diele stieß er fast mit Heinrich zusammen und wich zurück.
»Eine weitere Scherbe«, sagte Luuk und streckte dem Spiegelmacher das Glasstück entgegen. Er wusste, wessen Blut der geheimnisvolle Mann suchte, und deshalb würde heute sein letzter Besuch in der Werkstatt sein. Schließlich brachte er ihm die Scherbe mit Niks Blut. Langsam wich die Anspannung aus seinem Körper, die er stets in Heinrichs Nähe empfand. Neugierig musterte er ein letztes Mal das ungewöhnliche Haus des Spiegelmachers.
Heinrich nahm die Scherbe, drehte sich wortlos um und ging damit in die Werkstatt. Luuk folgte ihm.
Er beobachtete, wie der Spiegelmacher die Linsen aus einer Kommode herausholte, die ein Freund für ihn geschliffen hatte. Er schraubte sie übereinander in ein Gestell und entzündete alle Lichter in der Werkstatt.
Luuk bemühte sich, nicht in einen der Spiegel zu blicken.
Schon seit seinem ersten Besuch in der Werkstatt waren ihm die glänzenden Kunstwerke unheimlich gewesen, die sein Bild von einer Wand zur anderen warfen. Er hatte Angst, er könnte eines Tages etwas von sich dabei verlieren.
Heinrich legte zunächst die Scherbe mit dem alten Blut des letzten Sommers unter die Linsen, mit der er
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