Das Geheimnis des Templers - Collector's Pack
hatte er mit einer harten Strafe zu rechnen. Doch das Schreiben, das Struan bei sich trug und das nun zwischen seinen Fingern knisterte, würde d’Our nicht zu Gesicht bekommen. Es war denkbar ungeeignet, um es überhaupt irgendjemandem zu zeigen.
Allein der Inhalt dieser wagemutigen Depesche verriet den Verfasser – eine Frau. Nicht irgendeine Frau, sondern Amelie Bratac, die Tochter des Wein-und Geschirrhändlers, die sich wundersamerweise für ihn interessierte, ihn begehrte, ihn wollte. Jedenfalls schrieb sie das.
Heimlich hatte sie ihm ihre Briefe zugesteckt und ihm dafür regelrecht aufgelauert. Wie eine Katze auf Samtpfoten war sie an ihn herangeschlichen, als er nach einem stillen Gebet aus der Kapelle ins Freie getreten und ohne Gero und die anderen über den Hof gegangen war. Oder als er allein in den Stallungen seinen Hengst mit einer Extraration Hafer versorgt hatte. Sogar nach dem Besuch der Latrine hatte sie eines Tages unvermittelt vor ihm gestanden und ihm den Weg ins Freie versperrt. Nachdem er ihre Botschaften angenommen hatte, war sie einfach davongegangen. Ohne Erklärung, wie ein flüchtiger Geist.
Als sie das erste Mal unvermittelt vor ihm stand, war ihm beinah der Schreck in die Glieder gefahren, was ihm peinlich war und ihn inbrünstig hoffen ließ, dass sie es nicht bemerkt hatte. Ihre Schönheit nahm nicht nur ihm den Atem. Auch die meisten anderen Brüder waren von ihrem Anblick fasziniert, was ihn ein wenig beruhigte und auch wieder nicht, weil er der Einzige zu sein schien, der diesen Reizen nicht widerstehen konnte. Ihr Haar war lang und blond, wie aus Gold gesponnen; ihre Augen groß und dunkel, wie die eines Rehs; ihre Lippen feucht und üppig. Ihr gesamte Erscheinung war eine einzige Versuchung, die einen Mann Gottes auf eine harte Probe stellen konnte. Besonders dann, wenn er wie Struan nicht aus freien Stücken gelobt hatte, jeglichen Kontakt mit dem anderen Geschlecht zu vermeiden, und dieses Gelöbnis schon eine ganze Weile zurücklag.
Allein ihr Gang war sehenswert. Eine einzige fließende, rhythmische Bewegung. Die grazilen Beine, ihr wogender Busen und ihre runden Hüften fesselten seinen Blick so sehr, dass es ihm körperliches Unbehagen bereitete, wenn er sich abwenden musste, um sein Interesse vor ihr und den Kameraden zu verbergen.
Schon oft war Struan ihr in der Komturei begegnet, jedoch niemals allein. Meist befand sie sich in Gesellschaft ihres wohlhabenden Vaters, der als angesehener Kaufmann dem Templerorden eng verbunden war.
Und nun war ausgerechnet sie es, die ihn beachtete, geradewegs auf ihn zuging und ihm von anderen unbemerkt ihre Botschaften zusteckte. Tollpatschig wie ein Hund, der von seinem Herrn gerufen wird, war er anschließend stehen geblieben. Gefangen in inniger Bewunderung und mit der leisen Furcht, was wohl geschehen könnte, wenn er standhaft bleiben und ihr Angebot ablehnen würde. Doch sie hatte ihn längst verzaubert, und die Aussicht auf ihre direkte Zuwendung war viel zu reizvoll, um mit soldatischem Pflichtgefühl für die Miliz Christi und für Gott den Herrn darauf zu verzichten.
Im Dormitorium, wo er sich mit fast zwanzig Männern einen Schlafsaal teilte und dennoch vor Einsamkeit oft nicht zur Ruhe fand, wälzte er sich Abend für Abend auf seiner Matratze. Voller Ungeduld wartete er darauf, dass das nächtliche Murmeln seiner Kameraden in ein sonores Schnarchen überging. Im kläglichen Licht einer Ölfunzel, welche selbst in der Nacht nicht gelöscht wurde, holte er vorsichtig den letzten ihrer Briefe hervor und las ihn halb versteckt unter dem Laken. Immer darauf bedacht, dass ihn keiner der Mitbrüder beobachtete.
Gierig wie ein Verdurstender sog er jeden einzelnen Buchstaben in sich hinein. Die kräftig geschwungenen Zeilen in franzischer Sprache erschienen ihm wie das reinste Wunderwerk, noch dazu von einer Frau geschrieben. Die meisten Frauen, denen er bisher begegnet war, konnten weder schreiben noch lesen.
Allein die poetische Wortwahl verwirrte ihn, genau wie ihre eindeutigen, wenn nicht gar anzüglichen Formulierungen.
Hinterher verfluchte er sich für seine Schwäche, dass er dem inneren Drängen nachgegeben hatte, die Zeilen wieder und wieder zu lesen. Danach legte er sich jedes Mal sechzig Ave-Maria als Buße auf. Wobei er heimlich betete und nicht, wie es üblich war, in der Kapelle kniend vor dem Altar, wo jeder sehen konnte, wenn man um Ablass ersuchte. Dabei wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er schon längst
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