Das Geheimnis des Templers - Collector's Pack
nahmen und – da waren sich die Schreiber nicht einig – sie enthaupten oder
zersägen ließen. Bald darauf hatte ein gewaltiges Unwetter Priester und Zauberer erschlagen
und den König und sein Volk in Angst und Schrecken versetzt.
Allem Anschein nach wollte
der 28. Oktober 1307 seinen Namensgebern die Ehre erweisen – zumindest was das Wetter
betraf –, und auch die Märtyrer schienen nicht weit.
Ein Napf mit dünnem Gerstenbrei und eine Scheibe
verschimmeltes Brot kennzeichneten für Henri d’Our, Komtur der Templerniederlassung |8| von Bar-sur-Aube den
Beginn eines weiteren Morgens in der Hölle.
An manchen Tagen ging es in
den weit verzweigten Kalksteinkatakomben der Festung Chinon zu wie auf einem Viehmarkt.
Gefühllose Folterknechte trieben mit Peitschen und Knüppeln ganze Heerscharen von
gepeinigten Kreaturen durch ein Labyrinth von Gängen, in der Absicht, die
Widerstandsfähigsten herauszusieben, nur um ihnen danach noch ein wenig heftiger zusetzen
zu können. Heute jedoch war es nach der Verteilung der Essensration geradezu unheimlich
still gewesen, und nur ein fernes Donnergrollen ließ weiteres Unheil befürchten.
Der eindringliche Schrei
einer Frau, der diese Stille zerriss wie ein morsches Leichentuch, bestätigte Henri d’Ours
finsterste Ahnungen. Zurückgezogen hockte er im hintersten Winkel seiner Zelle. Der ehemals
weiße Habit ließ die ursprüngliche Farbe nur noch erahnen, und der teilweise zerfetzte
Stoff schützte seinen ausgemergelten Körper nur unzureichend vor schamlosen Blicken. Das
verfilzte, silberne Haupthaar und der noch bis vor kurzem gepflegte, würdevolle Bart waren
mit Blut und Dreck verschmiert.
D’Ours Kiefer schmerzte so
fürchterlich, dass er seinen Mund kaum zu öffnen vermochte, und mit seinen geschwollenen
Augenlidern kostete es ihn einige Mühe, zu erkennen, was um ihn herum geschah. Arme und
Beine, übersät mit blauen Flecken und kleinen, schmerzhaften Brandmalen, konnte er nur noch
mit äußerster Kraftanstrengung bewegen.
Bislang hatte er sämtlichen
Folterungen erbittert Widerstand geleistet, indem er scheinbar über den Schmerz
hinausgegangen war und seinen Geist ermächtigt hatte, den Körper zu verlassen, um den
unerträglichen Qualen mit Gleichmut begegnen zu können. Und doch ergriff Zug um Zug eine
jämmerliche Angst von seiner Seele Besitz. Was wäre, wenn König Philipp IV. von Franzien
und Guillaume de Nogaret, seines Zeichens Großsiegelbewahrer und Oberhaupt der königlichen
Geheimpolizei, der sogenannten Gens du Roi, herausfinden würden, dass Henri d’Our
tatsächlich zu den Eingeweihten des Templerordens gehörte und sich trotz seines
bescheidenen Postens ab und an mit dem Großmeister oder dessen Vertreter in Franzien
getroffen hatte? Vielleicht hatten die Gens du Roi, deren grauenhafte Folter jedem
anständigen |9| Menschen
das Blut in den Adern gefrieren ließen, Spione in die wirtschaftlich unbedeutende
Templerniederlassung im Osten der Champagne eingeschleust, die dem Königshof in Paris
regelmäßig Bericht erstatteten?
Ein Folterknecht, hässlich
wie der Teufel, kam herbeigeschlurft. Mit einem blöden Grinsen zückte er seinen schweren
Schlüsselbund und öffnete das monströse Eisenschloss zu Henri d’Ours unfreiwilligem
Domizil. Eine Maßnahme, die der Tatsache Hohn spottete, dass er – wie alle Gefangenen an
Armen und Beinen in Ketten gelegt – wohl kaum in der Lage sein würde, das Weite zu suchen.
»So mein Guter, auf zur
nächsten Runde.« Die Ironie in der Stimme des Mannes war nicht zu überhören. »Man erwartet
Euch bereits.«
Rücksichtslos zerrte er
Henri d’Our aus der finsteren Behausung heraus.
»Heilige Jungfrau Maria«,
betete der Komtur von Bar-sur-Aube lautlos, während er Mühe hatte, auf die Beine zu kommen.
»Lass mich stark bleiben in meiner Ehre und mutig im Glauben an das Gute in der Welt.«
Als er jedoch in die große,
hell erleuchtete Folterkammer gelangte, war es um seinen Mut geschehen. Ein Stich fuhr ihm
ins Herz, als er erkennen musste, dass mit Francesco de Salazar ein weiterer Ritterbruder
seiner Komturei in die Hände der Gens du Roi gefallen war.
Und was die Sache weit
schlimmer machte, war die weinende junge Frau, die an seiner Seite saß. Ohne Zweifel
handelte es sich um die Schwester des ehemals stolzen Katalanen, weil sie mit den gleichen,
großen Haselnussaugen zum Komtur der
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