Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
Ihr Haar war lang und blond, wie aus Gold gesponnen; ihre Augen groß und dunkel, wie die eines Rehs; ihre Lippen feucht und üppig. Ihr gesamte Erscheinung war eine einzige Versuchung, die einen Mann Gottes auf eine harte Probe stellen konnte. Besonders dann, wenn er wie Struan nicht aus freien Stücken gelobt hatte, jeglichen Kontakt mit dem anderen Geschlecht zu vermeiden, und dieses Gelöbnis schon eine ganze Weile zurücklag.
Allein ihr Gang war sehenswert. Eine einzige fließende, rhythmische Bewegung. Die grazilen Beine, ihr wogender Busen und ihre runden Hüften fesselten seinen Blick so sehr, dass es ihm körperliches Unbehagen bereitete, wenn er sich abwenden musste, um sein Interesse vor ihr und den Kameraden zu verbergen.
Schon oft war Struan ihr in der Komturei begegnet, jedoch niemals allein. Meist befand sie sich in Gesellschaft ihres wohlhabenden Vaters, der als angesehener Kaufmann dem Templerorden eng verbunden war.
Und nun war ausgerechnet sie es, die ihn beachtete, geradewegs auf ihn zuging und ihm von anderen unbemerkt ihre Botschaften zusteckte. Tollpatschig wie ein Hund, der von seinem Herrn gerufen wird, war er anschließend stehen geblieben. Gefangen in inniger Bewunderung und mit der leisen Furcht, was wohl geschehen könnte, wenn er standhaft bleiben und ihr Angebot ablehnen würde. Doch sie hatte ihn längst verzaubert, und die Aussicht auf ihre direkte Zuwendung war viel zu reizvoll, um mit soldatischem Pflichtgefühl für die Miliz Christi und für Gott den Herrn darauf zu verzichten.
Im Dormitorium, wo er sich mit fast zwanzig Männern einen Schlafsaal teilte und dennoch vor Einsamkeit oft nicht zur Ruhe fand, wälzte er sich Abend für Abend auf seiner Matratze. Voller Ungeduld wartete er darauf, dass das nächtliche Murmeln seiner Kameraden in ein sonores Schnarchen überging. Im kläglichen Licht einer Ölfunzel, welche selbst in der Nacht nicht gelöscht wurde, holte er vorsichtig den letzten ihrer Briefe hervor und las ihn halb versteckt unter dem Laken. Immer darauf bedacht, dass ihn keiner der Mitbrüder beobachtete.
Gierig wie ein Verdurstender sog er jeden einzelnen Buchstaben in sich hinein. Die kräftig geschwungenen Zeilen in franzischer Sprache erschienen ihm wie das reinste Wunderwerk, noch dazu von einer Frau geschrieben. Die meisten Frauen, denen er bisher begegnet war, konnten weder schreiben noch lesen.
Allein die poetische Wortwahl verwirrte ihn, genau wie ihre eindeutigen, wenn nicht gar anzüglichen Formulierungen.
Hinterher verfluchte er sich für seine Schwäche, dass er dem inneren Drängen nachgegeben hatte, die Zeilen wieder und wieder zu lesen. Danach legte er sich jedes Mal sechzig Ave-Maria als Buße auf. Wobei er heimlich betete und nicht, wie es üblich war, in der Kapelle kniend vor dem Altar, wo jeder sehen konnte, wenn man um Ablass ersuchte. Dabei wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er schon längst nicht mehr Herr seiner Sinne war. Denn jede noch so heldenhafte Mission seines Verstandes, ihn vor dem Absturz in die Verdammnis zu retten, schien kläglich zum Scheitern verurteilt.
Mehr und mehr verwandelten sich seine Bußgebete in Fürbitten, in denen er den Allmächtigen um Verständnis für seine missliche Lage und um mildtätige Unterstützung bat.
Seiner Sehnsucht nach Anteilnahme, Aufmerksamkeit und Liebe hatte er bis zu jenem Zeitpunkt, an dem diese Frau in sein Leben getreten war, heldenhaft widerstanden. Doch nur ein einziger, sorgsam beschriebener Zettel hatte dieser Horde finsterer Fabelwesen Tür und Tor geöffnet, damit sie fortan seine Seele traktierten.
In ihrem letzten Brief hatte sie ihn zu einem Treffen gedrängt – bald und an einem geheimen Ort.
Früh am Morgen war in Struans innerer Festung die letzte Barriere gefallen. Mit einem kaum merklichen Kopfnicken hatte er ihrem fragenden Blick im Vorbeigehen zugestimmt; im vollen Bewusstsein, dass ihn diese Begegnung nicht nur sein Herz und seinen Verstand kosten konnte, sondern auch seine Seele.
Kapitel IX
O bwohl der Mai erst in wenigen Tagen Einzug halten würde, schien die Sonne warm und freundlich, als Struan an einem Samstagnachmittag nach der Non seinen schwarzen Hengst eine viertel Meile nördlich der Stadt über jene Kuppe lenkte, die den Weg zum abgemachten Treffpunkt markierte.
Während er an frisch sprießenden Weizenfeldern und tiefdunklem Eichenwald vorbeiritt, betrachtete er es als eine Fügung des Himmels, dass ihm niemand gefolgt war. Die Bauern der Umgebung
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