Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
Sein Gesicht war bleich, und Haar und Augenfarbe glichen dem Fell eines dahergelaufenen Straßenköters. Aber in seinem Blick erkannte Gero ein unheimliches Funkeln, das leicht irrsinnig wirkte und nichts Gutes verhieß. Warum ein so hervorragender Menschenkenner wie Henri d’Our seiner Aufnahme zugestimmt hatte, war Gero unverständlich.
»Unser geschätzter Bruder entstammt dem englischen Hochadel«, referierte d’Our ungerührt und enthüllte mit einem Satz die Hintergründe dieser nicht nachvollziehbaren Entscheidung. »Er wurde zu uns entsandt, um von seinen Brüdern in Franzien zu lernen, weil er kraft seiner Geburt für ein höheres Amt in der Templerkommandantur in London bestimmt ist. Doch zunächst soll er sich im Stammland der Templer in diversen Komtureien des Ordens unter den gewöhnlichen Brüdern bewähren.«
»Hat man das schon mal gehört?«, frotzelte Arnaud leise. »Wer hat uns denn gefragt, ob wir uns erst noch bewähren müssen, als man uns auf diese beschissene Insel geschickt hat?«
»Du gehörst eben zu den gewöhnlichen Brüdern«, gab Roderic ihm leise zu verstehen.
»Wenn ich das schon höre, kommt es mir gleich hoch«, flüsterte Arnaud und verzog die Nase, als ob er soeben in Hundekot getreten wäre. »Wenn du mich fragst, ist der Kerl ein arrogantes Arschloch und nichts weiter. Von wegen ›im Orden sind wir alle gleich‹. Da sieht man’s mal wieder.«
»Bruder Arnaud! Habt Ihr uns etwas mitzuteilen?«, fragte der Komtur streng über die Menge hinweg.
»Nein, Beau Seigneur«, gab Arnaud prompt zurück und schaute Henri d’Our, der die kurze Vorstellung des Bruders mit gekräuselter Stirn unterbrochen hatte, ungerührt in die Augen.
»Dann erinnert Euch rasch an Euer Schweigegebot, Bruder Arnaud, sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als Euch eine gerechte Strafe für Eure Missachtung aufzuerlegen.«
»De par Dieu, Beau Seigneur«, entschuldigte sich Arnaud mit reuevoller Stimme und senkte sein Haupt. Es konnte jedoch nicht die Rede davon sein, dass er rot angelaufen war oder irgendeine Verlegenheit zeigte. Im Gegenteil, in seinen Augen lauerte noch immer der Widerstand, wie Gero unschwer erkennen konnte.
Nach d’Ours Vortrag und einem gemeinsamen Gebet für den neuen Bruder gingen die knapp dreißig Männer, bestehend aus weiß gewandeten Tempelrittern und schwarz gekleideten Sergeanten, wieder hinaus auf den Hof, um sich ihren verschiedenen Aufgaben zu widmen. Niemand kümmerte sich um Guy de Gislingham, den d’Our noch einmal ins Haupthaus gebeten hatte, um ein paar Verwaltungsangelegenheiten zu klären.
Gero, Struan, Johan, Roderic und Arnaud versammelten sich noch für einen Moment vor der Kapelle, weil offenbar ein jeder von ihnen wegen des neuen Bruders weiteren Gesprächsbedarf sah. Arnaud wollte sich gerade von neuem über Gislinghams unverschämtes Auftreten ereifern, als ein schwerbeladener Wagen durch das Eingangstor rollte und die Person, die neben dem beleibten, älteren Wagenlenker hoch auf dem Bock saß, die gesamte Aufmerksamkeit der Brüder auf sich zog.
»Was für ein Anblick«, schwärmte Arnaud und vergaß augenblicklich den hochnäsigen Engländer, als er die anmutige Amelie Bratac mit hungrigen Blicken ins Visier nahm. Wie üblich trug sie ein bodenlanges, enganliegendes Kleid, in einer wunderbaren Rosenholzfarbe, das keinen ihrer Vorzüge verborgen hielt. Den Männer entging nicht, wie sie geschickt vom Kutschbock auf den Boden sprang und ihrem Vater zu Hilfe eilte, als er eine Ladung irdenes Geschirr auf einen mit Stroh ausgelegten Handkarren stapelte.
»Ja, sie ist eine Augenweide«, seufzte Johan und lächelte versonnen, was aufgrund seiner Narben neuerdings immer ein wenig seltsam aussah.
»Weiß einer, wie alt sie ist?«, fragte Arnaud in die Runde.
»Ich schätze mal, sie ist nicht älter als achtzehn«, überlegte Roderic laut mit einem abschätzenden Blick. »Komisch, dass sie noch keinen Ehemann hat.«
»Ich habe gehört, sie ist außerordentlich klug«, fügte Gero hinzu, um der allgemeinen Betrachtung des Mädchens eine sachliche Note hinzuzufügen. Allerdings erwies sich dieser Versuch angesichts ihrer unübersehbaren Brüste und einem hübschen Hinterteil als ziemlich bedeutungslos.
»Sie ist sozusagen das glatte Gegenteil von Guy de Gislingham«, spöttelte Francesco, der lautlos hinzugetreten war. »Blond, rehäugig und so schön wie die Sonne.«
»Du hast vollbusig vergessen«, erinnerte ihn Arnaud mit einem lästerlichen
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