Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
um sich zu fragen, was er hier eigentlich trieb. Anstatt mit seinen Mitbrüdern in der Nachmittagslektion strategische Schwertkampfübungen zu vollziehen, hatte er es vorgezogen, seine Zukunft aufs Spiel zu setzen.
Der Spruch »Feigheit vor dem Feind« kam ihm in den Sinn. Darauf stand im Orden »der Verlust des Hauses« – also der unabwendbare Rausschmiss. Der würde ihm auch bevorstehen, wenn man ihn hier mit einem Mädchen erwischte. Trotzdem – er hatte sich entschieden, und feige war er nicht.
Was hatte er von ihr schon zu befürchten? Sie war schließlich nur eine Frau, und was war schon dabei, wenn man ein wenig plauderte?
Langsam zog er an dem Riegel und öffnete die klapprige Tür so weit, dass er eintreten konnte. Vorsichtig setzte er einen Fuß nach dem anderen über die Schwelle. Fast so, als erwartete ihn dort drinnen ein Ungeheuer. Dabei musste er den Kopf einziehen, um unversehrt durch den niedrigen Türrahmen hindurchschlüpfen zu können. In der Hütte herrschte eine gedämpfte Helligkeit. Die Fensterläden der einzigen Luke waren halb zugezogen, und durch das beschädigte Dach fielen senkrecht wie Speere ein paar Sonnenstrahlen herein, in deren Lichtkegel Myriaden von Staubkörnern tanzten. Es roch nach verrottetem Heu und Kaninchenkot, und es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.
Amelie Bratac saß, die Arme um die Knie geschlungen, in der hinteren Ecke des Raumes auf einem zusammengedrückten Heuhaufen, der die Größe und die Form eines breiten Nachtlagers hatte und wahrscheinlich schon des Öfteren für solche Zwecke genutzt worden war. Sie trug ein hellblaues Kleid und darüber einen dunkelbauen Umhang wie die Gottesmutter Maria. Ihr langes Haar flutete wie gesponnenes Gold über Schultern und Arme.
Als Struan die Tür hinter sich zuzog, blickte sie ihn mit ihren großen braunen Augen erwartungsvoll, wenn auch ein wenig ängstlich an.
Er hätte weiß Gott was darum gegeben, ihre Gedanken lesen zu können. Geduckt blieb er stehen, schluckte, unfähig, das Wort zu ergreifen.
Amelie war nicht fähig, ihren Blick von dem stattlichen Templer abzuwenden. Er war ihrer Einladung also tatsächlich gefolgt. Ihr Herz hüpfte vor Glück, während sie bemerkte, dass er mit seiner hünenhaften Gestalt kaum durch den Türrahmen passte. Ein wenig Staub rieselte von oben herab auf sein kurzgeschorenes, pechschwarzes Haar, als er die Tür ein wenig zu kraftvoll hinter sich zuzog. Seine dunklen Augen leuchteten geheimnisvoll bei dem Versuch, sich an das plötzliche Dämmerlicht zu gewöhnen.
Eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er sein hastig dahingemurmeltes Versprechen halten würde. Er war ihr gegenüber immer kühl und zurückhaltend gewesen. Nie hatte er sich anmerken lassen, ob er sich über ihre Briefe gefreut hatte oder ihm auch nur das Geringste an ihr lag. Und doch – nun stand er vor ihr, so real und präsent, wie sie ihn von den viel zu seltenen Begegnungen kannte, und genau so, wie er in ihren unzähligen Träumen gegenwärtig war. Ein Soldat Christi – in seinem stolzen Mantel mit dem roten Kreuz auf Schulter und Brust, in Kettenhemd und Wappenrock; bewaffnet bis an die Zähne und somit der Inbegriff eines mutigen Kriegers, der weder Tod noch Teufel fürchtet.
»Ich hatte schon geglaubt, Ihr hättet es Euch anders überlegt«, sagte sie, und dabei flatterte ihr Herz wie die Flügel eines flüchtenden Vögleins. Ihre Hände waren trotz der drückenden Hitze so kalt wie Eiswasser im Winter.
Struan räusperte sich hastig, um überhaupt ein Wort herausbringen zu können. »Ich war nahe dran, Euer ungewöhnliches Angebot auszuschlagen, aber ich muss zugeben, dass mich die Neugier gepackt hat, und nachdem Ihr einen so hohen Einsatz gezeigt habt, wäre es nicht höflich gewesen, Euch vergebens warten zu lassen.«
Er versuchte zu lächeln, aber in seinem Inneren war die Anspannung so groß, dass er Mühe hatte, nicht zu stottern. Ihr Anblick stürzte ihn in einen Strudel der Unentschlossenheit. Sie verkörperte alles, was er sich von einer Frau wünschen würde – wenn es ihm erlaubt wäre, eine zu erwählen.
Möglichst unauffällig musterte er jeden Zoll ihrer Erscheinung. Vom Scheitel ihres Haares bis hin zu den zierlichen, hellen Lederstiefeln sah sie aus wie ein Engel.
Unter seinem Blick schien sie sich merkwürdigerweise zu entspannen. Was er daran zu erkennen glaubte, dass sie ihre Abwehrhaltung aufgab und sich
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