Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
stattgefunden. Deshalb ist es Euch auch nicht erlaubt, irgendjemanden
in die Einzelheiten einzuweihen, bevor sich nicht abzeichnet, wohin die Reise geht. Wie ihr wisst, wimmelt es allenthalben
von Spionen. König Philipp darf keinesfalls erfahren, wo unsere Quellen sprudeln.«
»Gesetzt den Fall, es kommt zur besagten Verhaftungswelle, wird man uns auch außerhalb Franziens verfolgen?«
»Das wird nicht geschehen«, erwiderte d’Our mit einer erstaunlichen Sicherheit in der Stimme. »Wenn alles so kommt, wie es
sich abzeichnet, wird man den Orden in den deutschen Landen fürs Erste unbehelligt lassen. Trotz allem müsst Ihr auf der Hut
sein. Und dass Ihr Euch in Franzien nicht erwischen lassen dürft, versteht sich von selbst.«
Gero nickte steif. Begreifen konnte er all das nicht, aber er war schließlich darauf gedrillt, Befehle entgegen zu nehmen,
gleichgültig, ob er ihre Tragweite verstand oder nicht.
|30| »Noch eins«, sagte d’Our. »Ich möchte, dass ab sofort alle Ritter Ihre Herkunftsnachweise mit sich führen, sobald sie die
Komturei verlassen. Gebt das an Eure Brüder weiter!« Der Komtur erhob sich. »Die heilige Jungfrau soll über Euch wachen, Bruder
Gerard.«
»Und über Euch, Sire«, erwiderte Gero kaum hörbar, als er sich ebenfalls erhob. Ihn schwindelte, und er musste schlucken,
als er seinem Komtur in die hellen, wachen Augen sah. »Was wird aus Euch, Sire?«
»Macht Euch keine Sorgen«, erwiderte d’Our und klopfte ihm auf die Schulter.
»Ihr seid mein Garant dafür, alles getan zu haben, was dem Orden zur Rettung genügen wird. Ich weiß, ich kann mich auf Euch
verlassen. Denkt immer daran, nicht nur der Orden ist in Gefahr, wenn der schöne Philipp bekommt, was er will. Die ganze Menschheit
steht auf dem Spiel. Der Niedergang unseres Ordens würde Millionen das Leben kosten und Krieg, Hunger und Verdammnis in die
christliche Welt bringen, und das auf Hunderte von Jahren hinaus.«
2
Mittwoch, 11. Oktober 1307, abends – Fin Amor
Mit einem Gefühl, als hätte ihn der Schlund der Hölle geradewegs auf den Treppenabsatz gespuckt, fand Gero sich draußen vor
dem Gebäude wieder.
Die Ausführungen seines Komturs waren beängstigend genug, um seinem Leben schlagartig alle Freude zu nehmen. Trotzdem musste
er einen kühlen Kopf bewahren.
Bevor er die exakt behauenen Stufen hinunterging, hielt er sich einen Moment lang am Gemäuer fest, um nicht das Gleichgewicht
zu verlieren.
Ohne Umweg begab er sich dann zum Dormitorium, einem lang gezogenen Mannschaftsbau, gegenüber dem Haupthaus, der die Schlaf-
und Wohnstätten der Ritterbrüder und Sergeanten beherbergte.
Dort angekommen, wandte er sich zu einem der zwölf in Reih und Glied stehenden Buchenholzbetten. Erschöpft streifte er Mantel, |31| Schwert, Messergürtel und Kettenhemd ab. Dann ließ er sich der Länge nach auf seine Liege fallen. Auch die anderen jungen
Männer hatten sich auf ihre angestammten Lagerstätten verteilt. Stiefel und Kettenhemden lagen ungeordnet auf den glatt geschliffenen
Holzplanken.
Eine weitere Gruppe weiß gewandeter Männer betrat den Saal.
»Öffnet die Fenster«, rief einer der Ankommenden. Stephano de Sapin, ein großer schlanker Bursche mit einem eleganten Gang,
rümpfte die Nase wie eine Parfümmischerin beim Ausschluss übel riechender Duftessenzen. Strafend warf er einen Blick auf die
vereinzelt umherstehenden Trennwände aus Holz, über die einige seiner Kameraden eine größere Anzahl feuchter, ungewaschener
Filzsocken zum Trocknen gelegt hatten.
Während Gero sich aufsetzte, um sich seiner Stiefel zu entledigen, fiel sein Blick auf Johan van Elk, der mit einem leisen
Fluchen zur Tür hereinstolperte, weil dort jemand ein Kettenhemd hatte liegen lassen. Der rothaarige Bruder entstammte den
deutschen Landen wie er selbst und war der jüngste Spross eines niederrheinischen Grafengeschlechts. Schreckliche Brandnarben
entstellten das ehemals schöne Antlitz des Bruders, ansonsten war er groß und athletisch wie alle anderen, und nur anhand
seiner ungelenken Bewegungen konnte man sein wahres Alter erahnen, das kaum über zwanzig lag.
»Jo«, rief Gero ihm auf Deutsch entgegen. »Da bist du ja endlich.«
Der Rotschopf richtete seine Aufmerksamkeit auf Gero, indem er ihm grinsend entgegen ging und ihm kameradschaftlich auf die
Schulter klopfte. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte er fürsorglich. »Du siehst ja ganz blass
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