Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
ungläubig an. »Wie ist so was möglich …?«
»Die offizielle Vermutung für das Vorhaben des Königs ist«, fuhr d’Our mit einem ironischen Lächeln fort, »dass er dringend
Geld braucht, und da wir es ihm nicht freiwillig geben, sucht er einen Grund, |24| um es sich mit einem Überraschungscoup zu holen. Bei einer angekündigten Kontrolle müsste er davon ausgehen, nicht nur auf
verschlossene Türen zu stoßen, sondern auch auf verschlossene Tresore. Wegen dieser unerfreulichen Entwicklung haben wir strikte
Anweisung erhalten, alle Vermögenswerte, die in den Komtureien lagern, unverzüglich an einen sicheren Ort zu bringen. Könnt
Ihr mir folgen?«
Es dauerte eine Weile, bis Gero die Tragweite dieser arglos vorgetragenen Rede erfasste. Danach klopfte sein Herz aufgeregt,
und eine aufsteigende Hitze durchflutete seine Adern.
»Somit erteile ich Euch den Befehl«, sprach d’Our weiter, »die fünf fähigsten unter Euren Brüdern auszusuchen und mit ihnen
die uns anvertrauten Gelder und Wechselbriefe der ortsansässigen Kaufleute morgen Nachmittag in unser Depot im Wald des Orients
zu verbringen. Vorab werdet Ihr Euch in Beaulieu mit Theobald von Thors treffen, der den gemeinsamen Treck aller umliegenden
Komtureien anführen wird.«
»Wissen Papst und Großmeister davon?« Gero vergaß ganz, dass er keine Erlaubnis erhalten hatte, Fragen zu stellen. »In Sachen
Finanzen, in der Gerichtsbarkeit, bei der Wahl des Großmeisters ist es ein dem Orden verbrieftes Recht, dass sich mit Ausnahme
des Papstes niemand in unsere Angelegenheiten mischen darf, selbst wenn er ein König ist.«
»Die Befehle zum Handeln kommen direkt vom Großmeister«, erwiderte d’Our in lakonischem Tonfall. »Jacques de Molay hat uns
darüber hinaus befohlen, nichts zu unternehmen, was den König warnen könnte«, bemerkte der Komtur mit zweifelnder Miene. »Trotz
allem glaubt er nicht daran, dass Philipp von Franzien einen solch hinterlistigen Überfall wirklich wagen wird. Erst heute
haben unser verehrter Großmeister und Raymbaud de Charon als sein Vertreter der Einladung des Königs zur Beerdigung von Philipps
Schwägerin Folge geleistet. Soweit ich weiß, soll Molay in Begleitung unseres geschätzten Präzeptors von Zypern sogar den
Zipfel von Catherine de Courtenays Leichentuch tragen.« D’Ours Miene verriet, dass er diesen Umstand angesichts der drohenden
Katastrophe genauso merkwürdig fand wie Gero.
»Ich vermute dahinter einen gut überlegten Schachzug von beiden Seiten«, ergänzte er. »Frei nach dem Wahlspruch: Du sagst
mir nicht, dass du mich hasst und ich sage dir nicht, dass ich es weiß. Ich hingegen |25| glaube nicht, dass der König sein Ansinnen aufgeben wird, den Orden in seinen Besitz zu bringen, schon gar nicht wegen einer
solch einfältigen Geste. Und was den Papst betrifft, so hat dieser längst keine eigene Meinung mehr. Er steht finanziell mit
dem Rücken zur Wand – etwas, das er mit unserem schönen Philipp gemeinsam hat, und nichts schmiedet so leicht Allianzen wie
geteiltes Leid. Zudem droht das Herz des Papstes in Angst zu ertrinken. Nachdem seine Vorgänger Bonifatius VIII. und Benedikt
XI. so unvermittelt und rätselhaft ins Jenseits befördert wurden, wird er sich jeden Schritt, den er tut, gebührlich überlegen,
um zu verhindern, dass es ihm genauso ergeht.« D’Our setzte ein ironisches Lächeln auf. »Aber das ist längst noch nicht alles«,
fügte er verschwörerisch hinzu. »Es existiert eine Art Vorsehung«, erklärte er knapp. »Diese bestätigt den beginnenden Untergang
des ›Ordens der armen Ritter Christi vom Tempel Salomons‹ im Herbst des Jahres 1307 und die Verhaftung aller Templer in Franzien
durch König Philipp IV. an einem Freitag den 13.«
Gero blickte erschocken auf, doch d’Our vollführte eine beschwichtigende Handbewegung. »Was allerdings nicht bedeutet, dass
unser Schicksal bereits besiegelt wäre. Molay weiß davon, aber er glaubt an die Rettung des Ordens durch den Allmächtigen,
und sei es im letzten Augenblick. Daher bin ich weder befugt, etwas zu unternehmen, das die Angehörigen des Ordens generell
in Alarmbereitschaft versetzt, noch darf ich den Befehl zur Flucht erteilen.«
»Was hat das alles zu bedeuten?« Gero spürte, wie seine Knie weich wurden.
»Habt Ihr schon einmal etwas vom ›Hohen Rat‹ gehört?«
»Selbstverständlich.« Zusehends stellte sich Gero die Frage, in welche ungeheuerlichen
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