Das Geheimnis des toten Fischers
lassen Sie
dann Doktor Keller in Ruhe?«
»Hätte ich irgendeinen anderen Grund,
mit ihm Kontakt aufzunehmen?«
»Natürlich nicht.« Entweder sie war
nicht so schlau, wie sie glaubte, oder sie wollte einfach glauben, daß sie das
richtige tat. Jedenfalls ging sie zu einem der Aktenschränke, öffnete ihn und
faßte hinein. Dann richtete sie sich auf und schaute die Akten durch, schloß
die Schublade, öffnete eine andere darunter und wiederholte die Prozedur. Als
sie sich schließlich zu mir umwandte, war sie kalkweiß im Gesicht.
»Was ist?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf und schob die
Schublade zu. »Ich fürchte, ich kann Ihnen die Akten trotzdem nicht zeigen.«
»Warum nicht?«
»Weil sie nicht hier sind, Ms. McCone.
Und soweit ich das beurteilen kann, sind auch noch andere Akten verschwunden.«
Ich ließ Ann Bates bei ihren
Aktenschränken zurück, wo sie herauszufinden versuchte, was denn nun wirklich
alles fehlte, und fuhr zu Allen Kellers Haus. Das Mädchen, das an die Tür kam,
sagte mir, daß der Doktor nicht zu Hause sei, weigerte sich aber, mir
mitzuteilen, wohin er gegangen war. Auf meinem Weg zurück zu meinem Wagen kam
ich an der Garage vorüber; die Garagentür stand offen, die Garage war leer,
also konnte es durchaus sein, daß das Mädchen die Wahrheit gesagt hatte. Ich
überlegte einen Augenblick, dann fiel mir sein Kabinenkreuzer ein, die Prinzessin
Jane , die im Jachthafen in der Nähe des Sand Dollar vertäut sein mußte. Es
war einen Versuch wert. Ich fuhr hinaus und entdeckte den Kabinenkreuzer am
Ende eines Steges. Das Gelände durfte nur von Mitgliedern des Jachtklubs
betreten werden, verkündete ein Schild. Das Boot war mindestens zehn Meter lang
und wirkte recht komfortabel. Ein ideales Versteck für Keller und Jane, um sich
zu treffen.
An diesem Wochentag, kurz vor Mittag,
lag der Jachthafen verlassen da. Als ich zu Kellers Boot hinausging, hörte ich nichts
als die Schreie der Möwen und das ächzende Knarren der Taue. Doch dann vernahm
ich noch ein Geräusch: das Klirren einer Flasche gegen ein Glas.
Keller saß auf einem Stuhl auf dem
Achterdeck. Er trug eine abgeschnittene Jeans, aber kein Hemd. Als ich auf
gleiche Höhe mit dem Boot kam, stellte er gerade eine Ginflasche auf einen
Tisch neben sich. Dann blickte er auf, sah mich, kniff die Augen zusammen und
sagte: »Hauen Sie ab.«
Ich ging trotzdem an Bord.
»Sie lassen sich wohl keine
Vorschriften machen, wie?« Er nahm sein Glas und trank es zur Hälfte in einem
Zug aus.
»Nur selten.« Ich schaute mich um und
entdeckte einen zweiten Stuhl. Keller beobachtete mich aus zusammengekniffenen
Augen.
»Ich könnte Sie hier runterwerfen.«
Aber es klang nicht bösartig.
»Könnten Sie, aber Sie sehen aus, als
ob Sie etwas Gesellschaft brauchen könnten.«
Er zuckte mit den Schultern. Ich setzte
mich ihm gegenüber.
»Woher wußten Sie, daß ich hier bin?«
fragte er.
»Ich habe erraten, daß Sie und Jane
sich hier zu treffen pflegten.«
Er hielt inne, das Glas auf halbem Weg
zu den Lippen. »Hat da wer geplaudert... Wer?«
»Sie kennen ihn nicht.«
»Bestimmt nicht Ann Bates.«
»Nein, die nicht. Sagen wir, ich habe
da ein Gerücht mitbekommen.«
»Ja. Klar. Das Gerücht kennt hier wohl
jeder.« Er trank, dann fügte er hinzu: »Wenn Sie schon mal hier sind, dann
trinken Sie wenigstens einen Schluck mit mir.«
Wenn es das war, was ihn zum Reden
brachte, dann war ich dazu bereit. Außerdem war es heiß in der Sonne. »Ich
trinke ein Bier, wenn Sie eines haben.«
»Unten im Kühlschrank müßte noch Bier
sein.«
»Soll ich es holen?«
»Nein.« Er stand auf, ging zum Eingang
der Kabine und verschwand. Kurz darauf tauchte er mit einer eisgekühlten Dose
Bier wieder auf. Er reichte sie mir und langte dann selbst nach der Ginflasche.
Seiner Sprechweise und seinen Bewegungen nach zu urteilen, war Keller noch
nicht betrunken, aber es würde nicht mehr allzu lange dauern, bis es soweit
war.
»Sie haben also ein Gerücht gehört, und
Sie sind zu mir gekommen, um mich zu bemitleiden.« Seine Miene war spöttisch,
und er zog die Mundwinkel abfällig nach unten.
»Janes Tod war ein schlimmer Schock für
Sie, nicht wahr?«
»Das können Sie laut sagen.«
»Warum haben Sie mich belogen und
gesagt, daß Sie Jane so gut wie gar nicht kannten?«
»Warum hätte ich Ihnen die ganze
Geschichte erzählen sollen? Sie war ja gar nicht verschwunden — ich wußte es,
und Sie wußten es auch, weil Sie mit ihrer Mutter
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