Das Geheimnis des Viscounts
den meisten der Damen, die auf sie herabblickten. Es war kein leichtes Los, das Mrs Fitzwilliam sich da gewählt hatte. Ihr Leben dürfte sehr exklusiv und sehr einsam sein.
„Ich genieße unsere Gespräche auch sehr", sagte Melisande aus einem Impuls heraus. „Ich wünschte, wir könnten öfter miteinander reden."
Mrs Fitzwilliam lächelte vage. „Vielleicht haben wir ja bald Gelegenheit dazu."
Dann winkte sie ihre Kinder herbei und verabschiedete sich; Melisande blieb mit Mouse zurück. Sie wandte sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen war. Ein Lakai folgte ihr in diskreter Entfernung, und die Kutsche stand bereit. Die ganze Zeit wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen, was sie zu Mrs Fitzwilliam gesagt hatte — dass wahre Liebe verlange, sich von seiner verletzlichen Seite zu zeigen. Sie fragte sich, ob sie den Mut aufbringen würde, sich noch einmal so angreifbar zu machen.
„Hat Munroe Sie auf neue Ideen gebracht, wer der Verräter sein könnte?", fragte Matthew Horn später am Tag und sah Jasper an.
Der zuckte die Schultern. Wieder ritten sie im Hyde Park aus, und er war seltsam rastlos. Am liebsten hätte er Belle die Sporen gegeben und sie zum Galopp angetrieben, bis sie sich beide verausgabt hätten. Er hatte das Gefühl, am absoluten Tiefpunkt angelangt zu sein, als ginge sein Leben nicht mehr voran, solange er den Verräter nicht gefunden hatte. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als die Vergangenheit hinter sich zu lassen, doch das wäre ihm erst möglich, wenn er wusste, wer sie verraten hatte.
Vielleicht klang seine Erwiderung deshalb schärfer als beabsichtigt. „Munroe meinte, ich sollte mich auf den finanziellen Aspekt konzentrieren."
„Inwiefern?"
„Der Verräter hat für die Franzosen gearbeitet — entweder aus politischer Überzeugung oder weil sie ihn gut bezahlt haben. Munroe riet mir, mich näher mit den Vermögensverhältnissen jener Männer zu befassen, die noch infrage kommen."
„Selbst für viel Geld wäre wohl niemand so dumm, Gefangenschaft und Folter auf sich zu nehmen."
„Vielleicht war es nicht seine Absicht. Sein Plan könnte schiefgegangen sein."
„Nein." Entschieden schüttelte Horn den Kopf. „Nein, das ist lächerlich. Wenn es überhaupt einen Spion der Franzosen gab, hätte er schon zugesehen, sich nicht in der Nähe von Spinner's Falls aufzuhalten, als wir in den Hinterhalt geraten sind. Er hätte Krankheit vorgeschützt, wäre zurückgefallen oder gleich ganz desertiert."
„Was, wenn das nicht möglich war? Was, wenn er einer der Offiziere war? Sie dürfen nicht vergessen, dass nur die Offiziere unsere Marschroute kannten."
Horn schnaubte verächtlich. „Gerüchte kursierten bis hinab zum einfachsten Soldaten. Sie wissen doch, wie gut Geheimnisse in der Armee gewahrt bleiben."
„Stimmt auch wieder", lenkte Jasper ein. „Aber wenn es einer der Offiziere war, könnte er sich nicht einfach so aus dem Staub gemacht haben. Bei Quebec hatten wir schwere Einbußen erlitten. Offiziere waren Mangelware, da wurde jeder Mann gebraucht."
Horn ließ sein Pferd anhalten. „Sie wollen also die Vermögensverhältnisse jedes Einzelnen untersuchen, der damals dabei war?"
„Nein, ich ..."
„Oder nur die der Gefangenen?"
Jasper schaute Horn an. „Munroe hat mir da noch etwas erzählt."
Horn blinzelte kaum merklich. „Und was?"
„Dass Sie in Paris gewesen wären."
„Wie bitte?"
„Er meinte, ein französischer Kollege habe ihm geschrieben, dass er einem Engländer namens Horn auf einer Dinnerparty in Paris begegnet sei."
„Das ist ja absurd", ereiferte sich Matthew. Sein Gesicht war rot angelaufen, die Lippen eine schmale Linie. „Horn ist ja nun wahrlich kein seltener Name. Es wird ein anderer Horn gewesen sein."
„Dann waren Sie letzten Herbst also nicht in Paris?"
„Nein." Horns Nasenflügel blähten sich. „Ich war nicht in Paris. Wie ich Ihnen bereits sagte, habe ich Italien und Griechenland bereist."
Jasper nahm es schweigend hin.
Bebend vor Zorn griff Horn nach den Zügeln und beugte sich vor. „Wollen Sie meine Ehre anzweifeln, meine Loyalität? Wie können Sie es wagen, Sir! Wenn nicht Sie es wären — von jedem anderen würde ich auf der Stelle Satisfaktion fordern."
„Matthew ...", setzte Jasper an, aber da hatte der schon kehrtgemacht und preschte davon.
Jasper schaute ihm hinterher. Er hatte Horn immer für einen Freund gehalten. Es war nicht seine Absicht gewesen, ihn zu beleidigen. Auf dem Heimweg sann er voller
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