Das Geheimnis des Viscounts
Ich mache mir Sorgen, dass dein Drang nach Vergeltung dir schadet. Wäre es nicht besser, es ... es einfach gut sein zu lassen?"
Er trank einen Schluck und betrachtete sie. „Ich soll es gut sein lassen ? Du weißt, was bei Spinner's Falls geschehen ist. Du weißt, was all das mir bedeutet."
„Ich weiß, dass du davon besessen bist und dich von den Ereignissen der Vergangenheit nicht losmachen kannst."
„Ich habe meinen besten Freund sterben sehen."
Sie nickte. „Ich weiß. Aber vielleicht ist es langsam an der Zeit, deinen besten Freund loszulassen."
„Wäre ich es gewesen, wäre ich so schmählich umgekommen, hätte Reynaud keine Ruhe gegeben, ehe der Verräter zur Rechenschaft gezogen worden wäre."
Schweigend sah sie ihn an, ihre geheimnisvollen Katzenaugen unergründlich.
„Reynaud würde nicht aufgeben", schloss er, kippte den Rest seines Brandy hinunter und verzog das Gesicht.
„Reynaud ist tot."
Da wurde er ganz still und blickte langsam zu ihr auf.
Sie hatte das Kinn erhoben, um den Mund einen sehr entschiedenen, fast strengen Zug. Mit diesem Blick hätte sie das Kriegsgeheul einer ganzen Horde wilder Rothäute zum Verstummen bringen können.
„Reynaud ist tot", wiederholte sie. „Und außerdem bist du nicht Reynaud."
Als Melisande sich spät am Abend das Haar ausbürstete, dachte sie über ihren Gatten nach. Ohne ein weiteres Wort war Jasper aus seinem Studierzimmer marschiert, als sie sich heute Nachmittag gestritten hatten. Sie stand vom Toilettentisch auf und begann im Zimmer umherzugehen. Ihr Nachtlager war bereitet, eine Karaffe Wein stand bereit — alles war so, wie ihr Gatte es wünschte. Doch er war nicht da.
Es war schon nach zehn, und er war immer noch nicht da.
Zu Abend hatten sie gemeinsam gegessen. Viel gesprochen hatten sie nicht, aber er war danach doch sicher nicht noch einmal ausgegangen, ohne ihr Bescheid zu sagen? Zu Anfang ihrer Ehe hatte er sich so verhalten, aber seitdem hatte sich einiges geändert. Oder etwa nicht?
Melisande warf sich ihre Seidenstola über und beschloss, zu ihm zu gehen, wenn er schon nicht zu ihr kam. Entschlossenen Schrittes trat sie an die Verbindungstür und drehte den Knauf.
Nichts rührte sich.
Im ersten Moment stand sie wie benommen da und konnte es kaum glauben. Die Tür war verschlossen! Sie blinzelte kurz, hielt sich dann aber zur Besonnenheit an. Nicht er musste die Tür abgeschlossen haben. Vielleicht war es ja ein Versehen. Immerhin betrat sie seine Gemächer nur selten; meist war er es, der zu ihr kam. Melisande trat hinaus auf den Korridor, ging die paar Schritte zu seiner Tür und drehte den Knauf. Wieder war abgeschlossen. So langsam wurde es ihr dann doch zu dumm. Sie klopfte und wartete. Wartete und wartete. Klopfte noch einmal.
Fünf Minuten brauchte es, bis ihr aufging, was doch eigentlich offensichtlich war: Er wollte sie nicht hereinlassen.
Kapitel 18
Spät war es, als Jack ins Schloss zurückeilte. Ihm blieb kaum Zeit, seine Rüstung und sein Schwert abzulegen, ehe er hinab in die Küche eilte und abermals den kleinen Küchenjungen bestach. Dann rannte er hinauf in den Bankettsaal, wo der Hof sich bereits zu Tisch gesetzt hatte.
„Oh Jack!", rief die Prinzessin, als sie ihn kommen sah. „Wo hast du nur gesteckt — und was hat dir das Bein so schrecklich verbrannt?"
Jack blickte an sich hinab und sah, dass des Drachen Feuer ihn getroffen hatte. Doch er spürte es kaum und vollführte eine alberne Pirouette.
„Ich bin ein irrlichternder Geist", sang er. „Ich bin durch die Lüfte geschwebt und habe den Salamanderkönig besucht ..."
aus Lachender Jack
A ls Melisande am nächsten Morgen aufstand, war Jasper nicht da. Auch im Frühstückszimmer war er nicht. Sie runzelte die Stirn. Ob er ihr wieder aus dem Weg ging? Sie hatte sehr offen gesprochen den Tag zuvor vielleicht zu offen. Reynaud hatte ihm sehr viel bedeutet, das wusste sie, und es brauchte Zeit, über einen so schweren Verlust hinwegzukommen. Doch all das war inzwischen sieben Jahre her. Sah er denn nicht selbst, dass die Jagd auf den Verräter von Spinner's Falls sein Leben beherrschte? Und war es als seine Frau nicht ihr Recht — oder gar ihre Pflicht —, ihm dies zu sagen? Gewiss sollte es doch an ihr sein, dass er glücklich — oder wenigstens zufrieden — war im Leben. Nachdem sie ihn so lange schon geliebt hatte, nachdem sie in ihrer Ehe so weit gekommen waren, fand sie es ungerecht von ihm, sich ihr jetzt wieder zu entziehen. War er es
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