Das Geheimnis des Viscounts
verdient."
Mouse schnaufte leise und stieß mit der Pfote an die Bettdecke. Sie hob die Decke ein wenig an, damit er darunterkrabbeln und seinen Platz an ihrem Rücken wieder einnehmen konnte.
Dann schloss sie die Augen. Männer. Wie konnte es sein, dass Lord Vale im Laufe der Jahre unzählige Geliebte gehabt hatte und doch nicht zu wissen schien, was er mit seiner Gemahlin anfangen sollte? Sie hatte sehr zurückgezogen gelebt, aber die Gerüchte waren ihr dennoch zu Ohren gekommen. Sie hatte immer gewusst, wann er sich eine neue Geliebte genommen oder eine Affäre gehabt hatte. Jedes Mal hatte sich ein winziger, scharfer Splitter in ihr Herz gebohrt, hatte sich still und leise immer tiefer eingegraben, bis sie den Schmerz kaum noch gespürt hatte. Und nun hatte sie ihn — endlich — ganz für sich, und da stellte sich heraus, dass er über das Feingefühl eines Elefanten verfügte.
Melisande drehte sich um und knuffte das Kissen, was Mouse mit einem leisen Grollen zur Kenntnis nahm. Das war wirklich Ironie des Schicksals! Den Mann ihrer Träume zu bekommen und dann feststellen zu müssen, dass er ein gefühlloser Klotz war. Aber er konnte unmöglich ein so schlechter Liebhaber sein, wie es den Anschein hatte, denn wie hätte er dann bei den Damen des ton seinen legendären Ruf errungen? Manche waren über Monate bei ihm geblieben, und die meisten dieser Frauen waren Damen von Welt, raffinierte Geschöpfe, die sich ihre Liebhaber aussuchen konnten. Frauen, die Dutzende Männer hatten.
Der Gedanke ließ sie innehalten. Vielleicht war genau das der Grund. Ihr Gatte war an erfahrene Liebhaberinnen gewöhnt. Konnte es sein, dass er wirklich nicht wusste, was er mit ihr anfangen sollte? Oder — schrecklicher Gedanke! — wollte er sich seine Leidenschaft für eine Geliebte aufsparen und wohnte seiner Frau nur bei, um mit ihr Kinder zu zeugen? In diesem Fall wäre es ja geradezu Verschwendung, unnötige Anstrengungen darauf zu verwenden, dass sie im ehelichen Bett auf ihre Kosten kam.
Finster starrte Melisande vor sich hin. Wenn sich nicht bald etwas änderte, würde sie eine Ehe führen, die ohne Liebe und ohne sinnliche Freuden war. Auf die Liebe konnte sie gut verzichten musste sie gar verzichten, wenn sie nicht den Verstand verlieren wollte. Vale ihre wahren Gefühle zu offenbaren, schien ihr ebenso undenkbar wie vom Dach zu springen. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie auch auf Leidenschaft verzichten wollte. Wenn sie es geschickt anstellte, könnte sie ihren Mann wohl dazu verführen, ihr ein befriedigendes Ehebett zu bereiten, ohne dass er je von ihrer beschämenden Liebe zu ihm erfuhr.
Jedes Mal überfiel ihn beim Anblick von Matthew Horn ein vages Gefühl der Schuld, wie Jasper am folgenden Nachmittag wieder einmal bewusst wurde, als sie Seite an Seite im Hyde Park ausritten. Jasper musste an seinen alten, durchgelegenen Strohsack denken und fragte sich, ob auch Matthew Horn solch eine geheime Bürde trug und sich ihrer schämte. Auf die eine oder andere Weise schienen sie alle, die sie Spinner's Falls überlebt hatten, schwer daran zu tragen. Er tätschelte Belle leicht den Hals und schob den Gedanken beiseite. Diese Dämonen waren seinen Nächten vorbehalten.
„Ich habe Ihnen noch gar nicht meine Glückwünsche zu Ihrer Hochzeit ausgesprochen", sagte Horn. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal erleben würde."
„Da waren Sie nicht der Einzige", erwiderte Jasper.
Melisande war noch immer nicht aufgestanden, als er das Haus verlassen hatte, und er vermutete, dass sie den Tag wohl im Bett verbringen werde. Er war in solchen Frauenangelegenheiten nicht sonderlich bewandert. Zwar hatte er zahlreiche Liebschaften gehabt, doch war derlei nie zur Sprache gekommen, da er die Damen, meist nur dann gesehen hatte, wenn es ihnen gelegen kam. So eine Ehe verlangte doch viel größere Mühen als gedacht.
„Mussten Sie der armen Dame die Augen verbinden, um sie zum Altar zu bekommen?", fragte Horn.
„Ganz im Gegenteil: Sie war mehr als willens, mir ihre Hand zu geben." Jasper warf seinem Begleiter einen kurzen Blick zu. „Allerdings wollte sie eine Hochzeit im kleinsten Kreis. Sonst wären Sie natürlich eingeladen worden."
Horn grinste. „Keine Ursache. Außer für das glückliche Paar sind Hochzeiten meist recht langweilige Angelegenheiten, wenn Sie verzeihen, dass ich das so sage."
„Schon gut", sagte Jasper und neigte den Kopf.
Sie führten ihre Pferde an einer stehenden Kutsche
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