Das Geheimnis des Viscounts
vorbei. Ein hagerer Mann saß verdrießlich da und kratzte sich unter der Perücke, während seine Begleiterin sich herabbeugte, um mit zwei Damen zu plaudern, die sich im Park ergingen. Jasper und Horn zogen den Hut, als sie passierten. Der Gentleman erwiderte den Gruß zerstreut, die Damen knicksten, steckten dann die Köpfe wieder zusammen und tuschelten aufgeregt.
„Haben Sie selbst Pläne in dieser Hinsicht?", erkundigte sich Jasper.
Fragend sah Horn ihn an.
„Heiraten", sagte Jasper und deutete vielsagend auf die kleinen Grüppchen von Frauen, deren Kleider wie bunte Farbtupfen im Grün des Parks leuchteten.
Horn grinste. „So läuft es immer."
„Was?"
„Sowie ein Mann frisch verheiratet ist, versucht er seine Freunde in dieselbe Falle zu locken."
Leicht irritiert hob Jasper die Brauen.
Horn ließ sich nicht davon beeindrucken. „Als Nächstes werden Sie mich irgendeinem Geschöpf mit fahlem Teint und Silberblick vorstellen und mich wissen lassen, wie mein Leben sich wundersam zum Besseren wenden würde, wenn ich mich für immer binde."
„Nun da Sie es sagen", meinte Jasper, „ich hätte da eine Cousine ... Sie ist fast vierzig, verfügt aber über beträchtlichen Besitz und gute Verbindungen."
Horn bedachte ihn mit einem Blick stummen Entsetzens. Jasper schmunzelte.
„Spotten Sie nur. Aber erst letzten Monat hatte ich ein ganz ähnliches Angebot." Horn schüttelte sich.
„Ist diese widernatürliche Abneigung gegen das schöne Geschlecht der Grund dafür, dass Sie so häufig den Kontinent bereisen?"
„Nein, natürlich nicht." Horn verneigte sich galant im Sattel, als eine Kutsche mit älteren Damen vorbeifuhr. „Ich habe Italien und Griechenland bereist, um mir die antiken Ruinen anzusehen und Skulpturen zu sammeln."
„Ich wusste gar nicht, dass Sie Kunstliebhaber sind", zeigte Jasper sich überrascht.
Horn quittierte es mit einem Achselzucken.
Jasper sah, dass sie fast am Ende des Parks angelangt waren. „Haben Sie Nate Growe gefunden?"
Horn schüttelte den Kopf. „Nein. In dem Kaffeehaus, in dem ich ihn mal zu sehen gemeint hatte, wusste man nichts von ihm. Vielleicht war es gar nicht Growe. Es ist Monate her. Ich kann mich damals auch getäuscht haben. Tut mir leid, Vale."
„Keine Ursache. Immerhin haben Sie es versucht."
„Wer bleibt dann noch?"
„Nicht viele. Wir waren acht Gefangene: Sie, ich, Alistair Munroe, Maddock, Sergeant Coleman, John Cooper und Growe”, zählte Jasper auf und runzelte die Stirn. „Wen habe ich vergessen?"
„Captain St Aubyn."
Jasper schluckte. Auf einmal war ihm Reynaud wieder ganz gegenwärtig — seine wachen, schwarzen Augen, dieses offene, herzliche Lächeln, das so rasch verschwinden konnte, wie es gekommen war. „Natürlich. Captain St Aubyn. Cooper hat den Marsch nicht überlebt, Coleman ist den Misshandlungen im Camp erlegen, ebenso St Aubyn, und kurz darauf ist auch Maddock an den Folgen seiner Verletzungen gestorben. Wer bleibt uns als überlebende?"
„Sie, ich, Munroe und Growe", resümierte Horn. „Das sind alle. So kommen wir aber nicht weiter. Munroe will nicht mit Ihnen reden, und Growe ist spurlos verschwunden."
„Verdammt." Jasper starrte vor sich auf den Weg und dachte nach. Es musste doch etwas geben, das er übersehen hatte ...
Horn seufzte. „Sie meinten doch selbst, dass Thornton wahrscheinlich gelogen hat. Vielleicht sollten Sie es einfach aufgeben, Vale."
„Das kann ich nicht."
Er musste die Wahrheit herausfinden. Er wollte wissen, wer sie verraten hatte — und warum. Zu viele Männer, seine Männer, hatten bei Spinner's Falls ihr Leben gelassen, als dass man die Sache auf sich beruhen lassen, alles einfach vergessen könnte. Er würde nie vergessen, das war gewiss. Als er sich umsah, fragte er sich, was all diese Leute, die hier lustwandelten, ausritten, miteinander plauderten, was sie wohl wussten in ihren samtenen und seidenen Kleidern, mit ihren gemessenen Schritten und eleganten Verneigungen und Knicksen — ob diese Leute auch nur ahnten, was in einem Wald am anderen Ende der Welt geschehen war? Einem Flecken Erde, der so dicht bewaldet war, dass kaum Licht durch die Baumkronen drang und die Stille jeden Schreckensschrei schluckte? Manchmal, spät in der Nacht, fragte er sich, ob all das vielleicht nur ein entsetzlicher Traum gewesen war, ein Fieberwahn, den er vor vielen Jahren gehabt hatte und dem er noch immer nicht entrinnen konnte. Hatte er wirklich mit angesehen, wie sein Regiment
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