Das Geheimnis des Viscounts
Fitzwilliam. „Ich meine, richtig zusammenzuleben."
Melisande warf ihr einen kurzen Blick zu.
Mrs Fitzwilliam errötete. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht brüskiert."
„Oh nein, keineswegs."
„Es ist nur so, dass Männer bisweilen sehr verschlossen sein können", fuhr sie leise fort. „Sie halten einen auf Distanz, als wollten sie gar nicht, dass man an ihrem Leben teilhat. Aber vielleicht täusche ich mich ja und nicht alle Männer sind so?"
„Das kann ich nicht beurteilen", sagte Melisande. „Ich habe nur den einen."
„Natürlich." Mrs Fitzwilliam blickte zu Boden. „Doch manchmal frage ich mich, ob ein Mann und eine Frau einander überhaupt nah sein können. Im geistigen Sinne, meine ich. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind so groß, nicht wahr?"
Melisande verschränkte die Hände. Ihr erschien Mrs Fitzwilliams Sicht der Dinge recht abgeklärt, zynisch sogar, und ein Teil von ihr — der vernünftige, prosaische Teil — wollte ihr zustimmen. Doch etwas in ihr wehrte sich heftig dagegen. „Gewiss wird nicht immer so sein, oder? Ich kenne Ehepaare, die sehr glücklich miteinander sind, die einander lieben und sich so nah sind, da, sie die Gedanken des anderen lesen können."
„Und haben Sie so eine Verbindung zu Ihrem Gatten?", fragt Mrs Fitzwilliam. Von jeder anderen hätte Melisande diese Frag als ausgesprochen zudringlich empfunden, aber Mrs Fitzwilliam schien ehrlich interessiert.
„Nein", erwiderte Melisande wahrheitsgemäß. „Lord Vale und ich führen keine solche Ehe."
Und war das nicht genau das, was sie wollte? Einmal zuvor hatte sie geliebt und war bis in die Tiefen ihrer Seele verletzt worden. Solchen Schmerz wollte — nein, konnte — sie nicht noch einmal ertragen. Als sie sich dessen bewusst wurde, befiel sie eine Traurigkeit, die ihr plötzlich alles klein und nichtig erscheinen ließ. Nie würde sie wahres Eheglück kennen, nie eine dieser beneidenswerten Ehen führen, die auf Liebe und gegenseitigem Verständnis gründeten.
„Ah ja", sagte Mrs Fitzwilliam nur, dann standen sie wieder schweigend da und sahen den Kindern und Mouse zu.
Nach einer Weile wandte Mrs Fitzwilliam sich mit einem Lächeln zu ihr um, einem so umwerfend schönen Lächeln, dass Melisande der Atem stockte. „Haben Sie vielen Dank dafür, dass die beiden mit Ihrem Hund spielen durften."
Als Melisande gerade etwas erwidern wollte, hörte sie es hinter sich rufen: „Meine liebe Gemahlin! Welch Freude, Sie hier anzutreffen."
Sie drehte sich um und sah Jasper in Begleitung eines anderen Mannes in ihre Richtung reiten.
Melisande war so sehr in das Gespräch mit der anderen Frau vertieft gewesen, dass sie Jasper erst bemerkte, als er sie angerufen hatte. Während er und Lord Hasselthorpe näher heranritten, wandte die Frau sich ab und schlenderte gemächlich davon. Jasper erkannte sie dennoch. Sie nannte sich Mrs Fitzwilliam und war seit bald zehn Jahren die Mätresse des Duke of Lister.
Was war in Melisande gefahren, mit einer Halbweltdame zu reden?
„Ihre Gemahlin pflegt interessanten Umgang", bemerkte Lord Hasselthorpe. „Manch jungvermählte Dame meint, es würde ihr einen Hauch von Extravaganz verleihen, an den Grenzen der Respektabilität zu wandeln. Sie sollten Ihre Gattin beizeiten eines Besseren belehren, Vale."
Eine schneidende Erwiderung lag Jasper auf der Zunge, doch er verkniff sie sich, nachdem er gerade eine geschlagene Stunde darauf verwandt hatte, sich bei Hasselthorpe Gehör zu verschaffen.
Also biss er die Zähne zusammen und sagte: „Ich werde es mir merken, Mylord."
„Tun Sie das", erwiderte Hasselthorpe und ließ sein Pferd anhalten, ehe sie Melisande erreicht hatten. „Gewiss möchten Sie die Sache in Ruhe mit Ihrer Gemahlin klären, weshalb ich Sie hier verlassen werde. Sie haben mir viel zu bedenken gegeben."
„Heißt das, Sie wollen uns helfen, den Verräter zu finden?", insistierte Jasper.
Hasselthorpe zögerte. „Ihre Theorie klingt vernünftig, Vale, aber ich möchte nichts überstürzen. Sollte sich herausstellen, dass mein Bruder wirklich durch irgendeinen feigen Verräter umgekommen ist, können Sie auf meine Hilfe bauen. Aber ich möchte mir die Angelegenheit gern in Ruhe durch den Kopf gehen lassen."
„Gut", sagte Jasper. „Dürfte ich dann morgen bei Ihnen vorsprechen?"
„Lieber übermorgen", entgegnete Hasselthorpe.
Jasper nickte, wenngleich ihm jeder Aufschub ein Gräuel war. Er gab dem anderen zum Abschied die Hand und ritt dann zu
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