Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
weiterhin nach Kräften zu unterstützen. Entsprechend hatte sie gegenüber Anette, die sich trotz Thomas Roders Fürsorge nur leidlich beruhigt hatte, durchgesetzt, dass Arjen auf Beekensiel blieb, bis er sich einer Rückreise aus eigenen Kräften stellen konnte, anstatt mit einem Krankentransport nach Meresund zurückzukehren. Den Wunsch ihrer Mutter, Arjen notfalls gegen seinen Willen in ein Krankenhaus zu bringen, hatte sie so resolut vom Tisch gewischt, dass Anette beim Frühstück ununterbrochen zum Fenster hinausgeblickt hatte, als säße sie allein am Tisch. Dass ihre Tochter selbst jetzt noch darauf bestand, sich gegen ihre Wünsche zu stellen, verletzte sie tief, schließlich wollte sie nur das Beste. Gretas Hinweis, dass das Beste für Anette und die Familie noch lange nicht das Beste für Arjen sei, hatte sie nicht überzeugen können. Doch für das nötige Fingerspitzengefühl, diese Sache einzurenken, fehlte Greta einfach die Geduld. Zu sehr griff die lähmende Trauer nach ihr und ließ sie erahnen, was sie schon bald verlieren würde. Nein, darüber wollte sie jetzt auf keinen Fall nachdenken, denn es half weder ihr noch Arjen weiter, wenn sie ihn bereits zu Lebzeiten betrauerte. Stattdessen besann sie sich auf Mathilde … Mattes’ Mathilde.
Unsinn, sie ist vor Jahren seine Lebensgefährtin gewesen und hat sich in der Zwischenzeit ein neues Leben aufgebaut. Und wenn sie sich die junge Frau so ansah, hatte sie nicht das Gefühl, als ob Mathilde ihre Zeit damit verbrachte, ihrer verflossenen Liebe hinterherzuweinen. Mathilde wirkte viel mehr so zufrieden, wie Greta es auch gern eines Tages sein wollte.
»Jedenfalls hat Trude mich bei der Krankenpflege nach Kräften unterstützt und sich liebevoll um meinen Großvater gekümmert, viel mehr als man es von einer Wirtin erwarten darf«, nahm Greta den Faden wieder auf. »Das gilt auch für Birte, das Zimmermädchen. Der ist es sogar gelungen, ihn zum Essen zu überreden, was einem Wunder nahe kommt.«
Offenbar rannte Greta mit dieser Beobachtung offene Türen ein, denn Mathilde nickte überschwänglich. »Die Birte, die wird vollkommen unterschätzt, weil sie sich immerzu unsichtbar macht. Dabei ist sie so ein liebes Mädchen. Die kommt halt aus einer schwierigen Familie, ihr Vater ist schon seit fast zwei Jahrzehnten ein arbeitsloser Fischer, der seinen Frust an Frau und Kindern abgelassen hat.«
»Als ich angereist bin, hatte Birte sich für einen Tag krankgemeldet, weil sie aufs Gesicht gefallen war«, erzählte Greta wahrheitsgemäß. Als Mathilde die Arme in die Seiten stemmte und zu fluchen begann, zog Greta fragend die Brauen hoch. »Ich glaube, ich komme nicht ganz mit. Inwiefern betrifft Sie das?«
»›Du‹, bitte. Auf Beekensiel wird geduzt, und ich bin ohnehin aus Prinzip dafür, dadurch wird gleich alles viel lockerer. Und warum mich das so wütend macht …?« Mathilde atmete tief durch. »Mein kleiner Bruder Frank lebt mit Birte zusammen und sollte allein deshalb schon darauf achtgeben, dass ihr nichts mehr zustößt. Man muss Birte von ihrem Vater fernhalten, das schafft sie nämlich nicht von allein, vor allem nicht weil seine Frau vor einigen Monaten ausgezogen ist und Birte, das Schaf, Mitleid mit ihm hat. Mit diesem Mistkerl, der sie ihr halbes Leben lang halbtot geschlagen hat. So ist das mit Kindern, die man wie Dreck behandelt: Sie hängen umso mehr an einem. Mein Bruderherz weiß das ganz genau, aber vermutlich ist es ihm zu anstrengend, unentwegt mit Engelszungen auf Birte einzureden, dass ihr Vater sie nur deshalb gegen Monatsende sehen will, weil ihm das Geld für seine Sauferei ausgegangen ist. Wenn ich Frank in die Finger bekomme!«
Mathilde schimpfte noch eine Runde weiter, wobei sie sich nicht darum kümmerte, dass die Verkäuferin vom Nachbarstand immer näher rutschte, um besser mithorchen zu können, und ihre Apfelkisten sich selbst überließ. Nein, Mathilde trug ihr Herz auf der Zunge, und es stand zu befürchten, dass ihrem Bruder eine ordentliche Gardinenpredigt bevorstand. Greta kam nicht umhin, sich einzugestehen, dass sie diese Frau mochte. Mattes hatte einen guten Geschmack, auch bei Frauen, so viel stand schon einmal fest. Aber warum hatte er zugelassen, dass Mathilde sich einen anderen suchte, wenn die Chemie zwischen ihnen – laut Trude – gestimmt hatte? Vielleicht war das ihre Chance, mehr darüber herauszufinden, schließlich machte Mathilde keine Geheimniskrämerei um ihre Angelegenheiten.
»Der
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