Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Zuhause geschaffen. Sie hatte den kühlen Thaisen in einen Ehemann und Vater verwandelt und hatte voller Ideen gesteckt, um den zurückhaltenden Arjen aus seinem Schneckenhaus zu locken. Als sie damals von den Wellen mitgenommen wurde, war Arjen erst fünf Jahre alt gewesen, weshalb seine Erinnerung an seine Mutter nur bruchstückhaft war. Aber während Greta den Rückweg einschlug, erkannte sie, was für eine großartige Frau Magda Rosenboom gewesen war und was für ein Glück Arjen mit ihr gehabt hatte. Selbst wenn er nur wenige gemeinsame Momente mit ihr erinnerte, so hatte sie ihn doch maßgeblich geprägt. Sein Freund Ruben hatte später nur dort angesetzt, wo Magda bereits das Fundament geschaffen hatte. Sie hatte ihm den Wert eines echten Zuhauses nahegebracht und ihm die Nächstenliebe vorgelebt, die ihn durch sein Leben begleitete. Arjen hatte seine Mutter viel zu früh verloren, das war gewiss. Aber sie hatte ein Leuchten in ihm hinterlassen – und obwohl Greta nicht wusste, warum, war sie sicher, dass es dieses Leuchten war, das Ruben trotz ihrer Verschiedenheit zu dem dicklichen, ängstlichen Jungen geführt hatte.
Ob Magda Rubens Vorstellung, dass man sein Schicksal in die Hand nehmen muss, geteilt hätte? Im Prinzip vermutlich ja, nur wäre ihr eine weniger radikale Formulierung in den Sinn gekommen, damit man sich nicht davor fürchten musste, die Angelegenheit in Angriff zu nehmen.
»Magda hat geliebt, was sie tat«, dachte Greta laut nach. »Und die Spuren davon sind heute noch in ihrem Haus und in ihrem Sohn vorhanden.« Dann vergrub sie ihre Hände tief in ihren Jackentaschen und blickte noch einmal auf das bewegte Meer hinaus, bevor sie sich abwandte.
Kaum klopfte Greta an Eriks Zimmertür im Sturmwind, öffnete er so schnell, als habe er dahinter gelauert.
»Da bist du ja endlich!«, begrüßte er Greta. »Ich hatte schon befürchtet, du wärst Hals über Kopf von der Insel geflohen.« Im letzten Moment zog er die Arme zurück, die er bereits nach ihr ausgestreckt hatte. Aber Gretas kühler Blick war ihm nicht entgangen.
»Hallo, Erik. Tut mir leid, dass du auf heißen Kohlen gesessen hast, aber ich musste deinen Überfall erst einmal verdauen.«
»Hoffentlich nicht in den Armen von diesem Kerl, der dich gestern ins Hotel begleitet hat. Wer war das überhaupt, der örtliche Frauenbeglücker, verantwortlich für die Handvoll Touristinnen, die es in dieses Niemandsland verschlägt?« Eriks Grinsen geriet schief, als der Seitenhieb keine Reaktion bei Greta auslöste. »Sorry, das war wirklich ein selten dämlicher Kommentar«, lenkte er ein. »Ich bin nur komplett durch den Wind … Erst diese schwierige Anreise und die Neuigkeit mit Arjen, dann sehe ich dich nach all den Wochen der Funkstille endlich wieder, nur um im nächsten Moment vertröstet zu werden. Und dann ist da noch ein wildfremder Mann, der besitzergreifend seinen Arm um deine Taille legt – das war in dieser Situation echt das fehlende i-Tüpfelchen. Wie hartnäckig der an deiner Seite stehen geblieben ist, anstatt sich anstandshalber sofort zu verabschieden … Aber jetzt komm doch erst einmal rein, die Aussicht aus meinem Zimmer ist fantastisch.«
Greta rührte sich nicht vom Fleck. »Ich habe eine bessere Idee: Wir gehen spazieren, dann siehst du gleich auch etwas von der Insel. Das Wetter ist heute wie dafür gemacht, und schließlich hast du gesagt, dir würde es hier sosehr gefallen.«
Wie auf Befehl fielen Eriks Mundwinkel hinab, nur einige Millimeter weit, aber Greta kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihn ihr Vorschlag enttäuschte. Am Strand würde man schließlich eine Versöhnung nicht auf jene Weise feiern können, die ihm gewiss vorschwebte. Denn dass sie sich versöhnen würden, daran herrschte bei Erik mit Sicherheit kein Zweifel. Schließlich wusste er die Dinge zu drehen, egal wie sie standen – auf diesem Selbstvertrauen beruhte sein Erfolg als Geschäftsmann. Außerdem interessierte ihn die Insel vermutlich nicht einmal ansatzweise, das war nur reine Schmeichelei gewesen. Erik war durch und durch ein Stadtmensch. In einer Großstadt schwamm er wie ein Fisch durchs Wasser. Für ihn war die Natur etwas Edles, über das man wunderbar bei einem Glas Wein in einem Sternerestaurant sprechen konnte. Oder womit man Geld verdiente, indem man es sich auf die Fahnen schrieb, um möglichst modern und sauber dazustehen – wie Greta hatte herausfinden müssen. Kein Wunder, dass das höchste der Gefühle, was die
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