Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
sie zugehörig waren.
Damals jedenfalls sollten mit Hilfe von Heinz Flugmann erhebliche Gelder in die Sozial- und Infrastruktur der Insel fließen. Es lagen sogar Pläne für eine Bahnlinie direkt bis Beekensiel vor, das man bislang nur auf Umwegen erreichen konnte. Von einer Renovierung des maroden Schulgebäudes, einem Kurpark samt Konzertmuschel und sogar von einem »Konversationshaus« war die Rede gewesen, um Gästen neben dem ursprünglichen Inselleben auch die Sommerfrische schmackhaft zu machen. Herausgekommen waren zu guter Letzt eine befestigte Straße vom Festland aus, ein Lagerhaus mit einer hochmodernen Kühlungsanlage für den Fischfang, die von der Firma Ennenhof betreut wurde, und mit dem Löwenanteil war die Hafenanlage ausgebaut worden. Rückblickend wohl auch mit der Hoffnung, sie in Zeiten des Krieges für die Marine nutzen zu können, obwohl schon damals jedermann klar gewesen sein musste, dass der Raum des ursprünglichen Naturhafens niemals dafür ausreichen würde.
»Die Ennenhofs haben Beekensiel in ihren Fischereibetrieb verwandelt, während das Dorf ausblutet«, hieß es schon damals hinter vorgehaltener Hand, aber auch immer öfter laut und deutlich. So deutlich, dass Rasmus Ennenhof zum ersten Mal nicht in der Lage war, mit seinen sonstigen Druckmitteln für Ruhe zu sorgen, und gezwungen war, sich bei jeder Gelegenheit dafür zu verbürgen, seine Finger nicht im Spiel gehabt zu haben. Er habe Heinz Flugmann lediglich die Hand geschüttelt, als man einander beim Hafenbesuch vorgestellt worden war, mehr nicht. Wie auch? Er sei ja kein politischer Mensch, sondern nur ein Fischer. Und außerdem solle man aufhören, ständig zu klagen – die Hafenanlage käme schließlich allen Insulanern zugute. Als der Unmut trotzdem nicht verstummen wollte, nahm er sogar den Aufschlag zurück, den er den Fischern als ihr einziger Zwischenhändler aufgenötigt hatte, um seine neuen Lieferwagen zu finanzieren. Auch einen saftigen Spendenscheck fürs neue Schuldach stellte er aus.
Der Verdacht der Bestechung blieb aller Bemühungen zum Trotz bestehen, genau wie ein unterschwelliger Zorn auf die Familie Ennenhof. Doch dann kam der Krieg, die ersten schnellen Siege und die Euphorie stellten sich ein, und es schien, die Zukunft halte für alle Landsleute nur das Beste bereit. Man vergaß Rasmus Ennenhofs vermutliches Geklüngel mit Heinz Flugmann, und selbst als die Alliierten die teuer erkaufte Hafenanlage und das Lagerhaus einige Jahre später zu Schutt und Asche bombten, loderte die alte Wut nicht wieder auf. Das würde sich nun schlagartig ändern, denn diese Fotos bewiesen, dass die beiden Männer sehr wohl mehr miteinander zu tun gehabt hatten, als sich nur die Hände zu schütteln.
Unter anderen Umständen hätten die Ennenhofs die Bestätigung der alten Gerüchte vermutlich ohne Probleme weggesteckt, aber nicht jetzt, wo die Bürgermeisterwahlen anstanden. Da würde allein die geschäftliche Nähe zu einer Nazigröße unangenehme Fragen mit sich bringen, und wahrscheinlich würden sich sogar die Besatzungskräfte dafür interessieren. Wenn diese Aufnahmen ihre Runde machen würden, wäre Jörg Claußen gezwungen, sich von den Ennenhofs zu distanzieren, um selbst keinen Schaden zu nehmen. Wobei der Verlust des blühenden Schwarzmarkt handels, den die Familie betrieb, vermutlich die größere Wunde schlagen würde.
Je länger Arjen darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, welche Folgen diese alten Aufnahmen mit sich bringen konnten. Genau diese Brisanz musste Ruben erkannt haben, denn er war 1939 auf der Insel gewesen, als die Affäre Heinz Flugmann heiß diskutiert worden war. Wenn Arjen sich recht erinnerte, hatte es nach einem Gottesdienst eine hitzige Diskussion gegeben, bei der Peer Hinrichs und einige andere Beekensieler sich lautstark darüber aufgeregt und Rasmus Ennenhof auf den Kopf zugesagt hatten, was sie von seinen Mauscheleien hielten. Ja, Ruben wusste bestens Bescheid, wie er Ole Ennenhof in die Knie zwingen konnte, so viel stand fest.
Arjen saß noch eine ganze Weile in Gedanken verloren auf seinem Bett, bis ein blonder Schopf im offen stehenden Fenster auftauchte. Mit einem Grinsen hievte sich Ruben durch die Öffnung. Er setzte sich aufs Fensterbrett und ließ die Beine baumeln.
»Du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. So etwas sollte an einem Tag wie heute eigentlich verboten sein.«
»Meinst du?«
Sichtlich irritiert über diese kühle Begrüßung begutachtete
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