Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Ruben die Sammelstücke, die neben ihm auf der Fensterbank lagen: Muscheln, ein hölzerner Nussöffner und eine Schnupftabakdose aus Messing. Sein Blick blieb an ihr hängen, sie schien ihn zu faszinieren. »Sind die Negative noch da drinnen?«
»Nein, aber nimm dir die Dose ruhig, wenn sie dir gefällt. Ich wäre froh, sie aus dem Haus zu haben, aber zum Wegschmeißen ist sie zu hübsch.« Unter anderen Umständen hätte Arjen darüber geschmunzelt, dass Ruben einen Hang zu Kleinoden hatte, die mit mystischen Zeichen geprägt waren wie diese Dose mit dem Kreuz. »Mein Vater kann sie nicht mehr gebrauchen, seine Schnupftabak-Zeiten sind endgültig vorbei. Wenn ich mich nicht täusche, wird er bald mit so ziemlich allem kürzertreten müssen, sonst wird ihn sein Herz dazu zwingen.«
»Und dabei dachte ich immer, der alte Rosenboom sei unverwüstlich.« Ruben lachte, verstummte jedoch rasch, als sein Freund nicht miteinstieg. Nachdenklich kratzte er sich hinterm Ohr, dann betrachtete er die Fotos, die Arjen auf seinem Bett ausgebreitet hatte. »Das war ein verdammt großartiger Tag, als wir diese Aufnahmen gemacht haben.«
»Ja, das war er. Der ganze Sommer war großartig, und es hätte noch viele weitere solcher Tage gegeben, wenn du nicht mit einer deiner verrückten Ideen alles kaputtgemacht hättest.« Vor Zorn ballte Arjen die Hände zu Fäusten, was seinem Freund keineswegs entging. Ruben stieß sich vom Fensterbrett ab, kam zum Stehen und ging langsam auf das Bett zu.
»Du meinst die Idee, Fred Denneburgs Leica zu stibitzen?«
»Oder sich nachts bei Jörg Claußen im Garten herumzutreiben, obwohl alle Welt nach einem Dieb Ausschau hält.«
»Du nimmst es mir übel, dass ich mich von Claußen habe schnappen lassen? Arjen, ich war damals noch ein halbes Kind, ich …«
»Darum geht es nicht!« Arjen musste sich beherrschen, um nicht zu schreien. Nur wenige Schritte hinter der geschlossenen Zimmertür schlief Thaisen. »Du bringst dich mit deiner Versessenheit in unmögliche Situationen und machst damit alles kaputt. Begreifst du das denn nicht?«
Rubens Nasenflügel blähten sich auf, während die Hitze in der kleinen Kammer sekündlich anstieg. Mit spitzen Fingern hob er eine von Denneburgs Aufnahmen auf. »Darum geht es dir im Grunde – und nicht um diese längst vergangene Geschichte. Du hast dir zusammengereimt, wie ich gegen Ole Ennenhof vorgehen will. Siehst du, ich habe dir doch gesagt, dass dein Verstand viel zu gut funktioniert, um auf Beekensiel beim Malochen zu versauern.«
Obwohl Arjen sich dagegen wehrte, freute er sich über das Kompliment, während seine Wut nachließ. »Üble Nachrede ist nichts, was ich gutheißen kann, nicht einmal wenn sie dazu dient, Ole Ennenhof auf seinen Platz zu verweisen. Ich verstehe, dass du wütend auf ihn bist, so herablassend wie er dich behandelt hat. Er ist ein Mistkerl, das steht außer Frage, aber eine solche Unruhe kann die Insel im Augenblick nicht vertragen, nicht nachdem sich auf dem Sommerfest alles so schön entwickelt hat. Wir stehen hier kurz davor, endlich doch noch Frieden auf der Insel zu finden. Und vielleicht können wir uns auch endlich nach außen hin öffnen. Wenn jetzt einer der bekanntesten und einflussreichsten Insulaner vorgeführt wird, bringt das mehr Schaden als Nutzen mit sich, das muss dir doch klar sein. Vergiss deinen verletzten Stolz, Ruben.«
»Ginge es nur um meinen verletzten Stolz, würde ich mir nicht die Mühe machen, das kann ich dir versprechen. Aber es geht um viel mehr. Es geht um die Frage, ob ich auf Beekensiel das Leben führen kann, das ich mir erhoffe. Oder ob ich im Schatten von Ole Ennenhof leben will. Es geht mir mit diesen Fotos nicht darum, ihm eins auszuwischen. Ich werde ihn damit erpressen, und falls er sich an meine Forderung hält, wird sie nie jemand anderes zu Gesicht bekommen.«
»Ole Ennenhof erpressen? Um Himmels willen, bist du komplett wahnsinnig? Der wird dafür sorgen, dass sie dich ins Zuchthaus werfen, und danach kannst du dich hier nie wieder blicken lassen!«
Arjen begriff erst, dass er schrie, als es schon geschehen war. Beide junge Männer erstarrten für einige Atemzüge. Aus der Wohnstube erklang jedoch nur ein regelmäßiges Schnarchen. Sich imaginären Schweiß von der Stirn wischend, setzte sich Ruben auf die Bettkante.
»Das war knapp. Ich gebe es nicht gern zu, aber ich hätte vor deinem Vater selbst dann einen Heidenrespekt, wenn er taub, stumm und blind in einem Rollstuhl
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