Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
ging auf, und ihre Schwester trat ein, ohne ein Herein abzuwarten. »Du hast vielleicht ein Glück, weißt du das eigentlich?«, legte sie sofort los. »Anette wollte dir gerade einen Besuch abstatten, als Großvater urplötzlich schwindelig geworden ist. Nun ist sie mit nassen Waschlappen beschäftigt, um ihn wieder auf die Beine zu bringen.« Als Greta zur Tür eilen wollte, versperrte sie ihr den Weg. »Ist schon wieder alles okay, brauchst dir keine Sorgen zu machen. Eine Tablette, ein Glas Wasser und schon funkeln Arjens Augen wieder, und er spricht davon, dass er einen Bärenhunger hat und zum Essen loswill.«
Der gute Arjen – diesen Anfall musste er vorgetäuscht haben, um ihr eine Auszeit zu verschaffen. Obgleich die Vorstellung, dass ihm tatsächlich unwohl war, keineswegs abwegig erschien, so erschöpft wie er ausgesehen hatte. Nicht einmal seine Sommerbräune hatte darüber hinweggetäuscht, wie blass er tatsächlich war. Vermutlich hatten sie alle miteinander noch nicht recht begriffen, wie alt Arjen wirklich war.
Greta fand eine schlichte Bluse, die ihrer Großmutter gehört haben musste. Als sie hineinschlüpfte, stellte sie erleichtert fest, dass das Oberteil saß, nur die Ärmel waren ein Stück zu kurz, weshalb Greta sie aufkrempelte. »Bin ich jetzt vorzeigbar?«
Wencke presste ihre Lippen zusammen, als könne sie nur leidlich einen schneidenden Kommentar zurückhalten. Dann hielt sie einen Schminkbeutel hoch. »Ich habe mir schon gedacht, dass du Hilfe brauchst. Großvater freut sich sehr auf den Restaurantbesuch, da solltest du also lieber anständig aussehen. Die Bluse ist ein Anfang, den Rest versuche ich hinzubekommen. Setz dich auf die Bettkante und lass mich meine Arbeit machen.« Nachdem sie eine ganze Weile mit Pinseln und Stiften an Gretas Gesicht gearbeitet hatte, trat sie einen Schritt zurück und gab ein zufriedenes Brummen von sich. »So wird es gehen. Du siehst zwar immer noch übernächtigt aus, aber wenigstens nicht mehr wie eine Wahnsinnige auf Freigang.«
»Vielen Dank. Wirklich. Du musst wissen, ich war nämlich richtig unzufrieden mit mir und meiner chaotischen Ankunft. Auch wenn es in deinen Ohren verdreht klingt: Ich habe es ehrlich nicht darauf angelegt, die Attraktion der Feier zu sein, über die sich alle das Maul zerreißen, weil mein Leben unübersehbar ein Trümmerfeld ist. Es ist mir schrecklich unangenehm, Wencke, einmal davon abgesehen, dass ich mich am liebsten in einer Ecke verkriechen würde, um in Ruhe zu heulen.«
Zu Gretas Verwunderung verschwand der harte Zug um Wenckes Mund. »Es tut mir übrigens leid, dass ich vorhin in der Küche so abweisend zu dir gewesen bin. Ich war bloß so wütend, weil du dich nicht gemeldet hattest, und als du dann schön Sekt mit Mama getrunken hast, anstatt dich bei uns für die Verspätung zu entschuldigen, ist es mit mir durchgegangen. Hätte ich geahnt, dass etwas Ernstes vorgefallen ist, dann wäre ich natürlich nicht so patzig gewesen. Bin ja schließlich kein Biest.« Auch in dieser Hinsicht hatte sich nichts verändert: Wencke konnte erst auf ihre Schwester zugehen, wenn diese am Boden lag und nicht so schnell wieder aufstehen würde. »Ist es mit Erik wirklich vorbei?«
Greta nickte. »Ich habe etwas über ihn herausgefunden, das mich schwer verletzt hat und unsere gesamte Beziehung in Frage stellt. Das war ein ziemlicher Schock, obwohl ich mir schon länger unsicher gewesen bin, ob wir wirklich zusammenpassen. Ich habe das dann immer auf meine Verkopftheit geschoben, weil ich die Dinge eben gern zergrüble, während er nie den geringsten Zweifel an unserer gemeinsamen Zukunft hegte. Stattdessen hat Erik bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont, wie stolz er auf unsere eher ungewöhnliche Beziehung war: der aufstrebende und lediglich grün angehauchte Erik Brunner und die deutlich jüngere Weltverbesserin Greta Rosenboom. Schade nur, dass ich mit meiner Skepsis richtiggelegen hatte.«
»Und was ist mit deinem Job bei Wind Tech? Der war vielleicht nicht traummäßig, aber dieses Netzwerk zum Infoaustausch über grüne Technik, an dem du rumgewerkelt hast, war doch schon eine tolle Sache. Du warst immer ganz aus dem Häuschen, wenn du uns damit gelangweilt hast.«
Das stimmte durchaus, nur hatte diese Aufgabe komplett ihren Sinn verloren, nachdem Greta herausgefunden hatte, womit Eriks Vorzeigeunternehmen Wind Tech in Wahrheit das Geld einfuhr. Die Öffentlichkeitsabteilung, die Greta aufgebaut hatte, verlor
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