Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
ihre Grundlage, wenn erst einmal herauskam, womit Erik Brunner sich eine goldene Nase verdiente. Und es würde herauskommen, so viel stand fest. »Der Job ist genauso tot wie meine Beziehung zu Erik.«
Wencke kam ein Stück näher, als würde sie dieses Geständnis geradezu anlocken. »Dann war es das also wirklich mit eurer ›Aschenputtel findet ihren Prinzen‹-Nummer?«
Ich fände »Die Schöne und das Biest« passender, allerdings in verkehrter Reihenfolge, in der sich der vermeintliche Prinz ganz unvermutet in ein Biest verwandelt. Diesen Vergleich behielt Greta jedoch für sich und gab stattdessen vor, ihre verstreut herumliegenden Socken zusammenzusammeln. Es würde nicht viel bringen, wenn Wencke mitbekam, wie sehr sie diesen Märchen-Vergleich hasste, immer schon gehasst hatte. Nur weil Erik bei ihrem Kennenlernen bereits ein erfolgreicher Unternehmer gewesen war, während sie lediglich mit zwei Freunden einen Berliner Non-Profit-Fahrradverleih am Leben zu erhalten versuchte, hatte sie sich niemals als Aschenputtel gesehen. Eriks Geld hatte sie genauso wenig beeindruckt wie sein Erfolg. Das würde Wencke ihr allerdings niemals glauben, egal wie sehr sie beteuerte, dass ein »guter Fang« in ihren Augen weniger mit einem beachtlichen Lebenslauf, sondern mehr durch einen überzeugenden Charakter bestach.
»Erik und ich … Wir waren einfach zu verschieden«, erklärte Greta ausweichend. »Daran hat sich auch nie etwas geändert, egal, wie viele Kompromisse wir eingegangen sind. Irgendwann … Eigentlich schon ziemlich früh hat unsere Beziehung angefangen, sich falsch anzufühlen, wie eine wunde Stelle, die man immer häufiger berührt, bis man sie nicht länger totschweigen kann. Das allein wäre schon Grund für eine Trennung gewesen, aber so weit ist es nicht gekommen. Dank Eriks ans Licht gekommenem Doppelleben.«
»Willst du mir auf deine umständliche Art etwa erzählen, dass der perfekte Erik nicht vollkommen perfekt ist?«, unterbrach Wencke sie. »Das fände ich, so leid es mir tut, ziemlich kindisch.«
»Mir geht es nicht um Perfektion – einmal davon abgesehen, dass Erik weit davon entfernt ist, perfekt zu sein. Er ist ein Lügner, ein Heuchler …« Gretas Stimme versagte, und sie wünschte sich, sich einfach auf dem Bett zusammenzurollen und unter der Decke zu verschwinden. Nur würde sich der Schmerz nicht von Daunen und Leinen abhalten lassen, er würde jede Lücke finden und über sie kommen, bis sie es nicht länger aushielt und ihr Nest unter dem Dach verfluchte.
Zum ersten Mal blickte Wencke sie mitfühlend an. »Der Mistkerl hat dich betrogen, richtig?«
Greta kniff sich ins Nasenbein, um die Tränen zurück zuhalten. Erik war nun wirklich kein Grund, Wenckes Schminkkünste zu ruinieren. »Ja, er hat mir von Anfang an etwas vorgemacht.« Als Wencke ihr einen Arm um die Schultern legen wollte, zuckte Greta zurück. »Bitte nicht, ansonsten kann ich für nichts garantieren. Für Selbstmitleid ist später noch genug Zeit, ich will nicht auch noch Großvaters Abendessen verderben, indem ich als aufgelöstes Nervenbündel mit Schnupfnase am Tisch sitze. Eigentlich hätte ich an seinem Ehrentag gar nicht nach Meresund kommen dürfen, aber ich wusste nicht, wohin ich sonst hätte gehen sollen.«
»Du hast alles richtig gemacht«, beruhigte Wencke sie. »Wenn alle Stricke reißen, geht man eben zu seiner Familie. Du gehörst zu uns, obwohl es mir manchmal schwerfällt, das zu glauben. Ich vertrete ja nach wie vor die These, dass du auf der Geburtsstation mit meiner wahren Schwester, einem sanften und umgänglichen Geschöpf, vertauscht wurdest.« Als Greta sie irritiert ansah und ihre Schultern straffte, als gälte es einen Angriff abzuwehren, lächelte ihre Schwester. »Siehst du, ich weiß genau, mit welcher Taktik man dich am besten ablenkt. Da reicht ein wenig Gestichele, und schon hebst du stolz deinen Kopf. So habe ich das schon gemacht, als wir noch Kinder waren. Wenn du bei irgendeiner Kleinigkeit zu flennen angefangen hast, dann brauchte ich nur ›Lauf schnell zu Mutti, du Heulsuse‹ zu sagen, und sofort hast du aufgehört. Ich wette, Erik hat sein blaues Wunder erlebt, als du hinter seine Lügengeschichte gekommen bist. Egal wie kläglich es dir jetzt geht, der hat doch bestimmt die Abreibung seines Lebens bekommen.«
Leider nicht annähernd genug , dachte Greta, die sich nach Wenckes Seitenhieb tatsächlich besser fühlte. Es machte sich sogar eine gewisse Vorfreude auf den
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