Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
wirklich ein Meister der scharfsinnigen Beobachtung. Ehrlich gesagt, habe ich über etwas nachgedacht, das mein Großvater mir über seine Kindheit auf Beekensiel erzählt hat. Ich habe mich gefragt, ob es wohl so etwas wie das Schicksal gibt.«
Mattes zog seine schwarzen Brauen hoch. »Beeindruckend tiefsinnig. Wirklich.«
Der Spott ärgerte Greta, aber noch mehr ärgerte sie sich über ihr albernes Bedürfnis, diesen Mann zu beeindrucken, vor allem weil der Versuch auch noch nach hinten losgegangen war. » Sie denken vermutlich eher darüber nach, warum die meisten Frauen bloß so gereizt auf Sie reagieren.«
»Das – und ob zum Frühstück im Sturmwind wohl noch Zimtwecken übrig sind.«
Zuerst blinzelte Greta verwirrt, dann erinnerte sie sich an das angebissene Gebäck in ihrer Hand. »Wenn Sie Hunger haben, was machen Sie dann so weit ab vom Schuss?«
Mattes steckte zwei Finger in den Mund, und ein ohrenbetäubender Pfiff erklang. Im nächsten Moment rannte ein Labrador aus der Brandung auf sie zu und spuckte vor Mattes’ Stiefeln einen Tennisball in den Sand, bevor er sich schüttelte, dass die Tropfen nur so flogen. Gerade noch rechtzeitig schützte Greta ihr Gesicht mit den Unterarmen, dann betrachtete sie den Hund genauer: ein großgewachsener Rüde, unter dessen nassglänzendem Fell sich Muskelstränge abzeichneten. Ein schönes Tier, wenn auch etwas ungestüm.
»Das ist Fado, mein treuer Begleiter«, erklärte Mattes mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme.
»Hallo, Fado.« Greta hielt dem schokoladenfarbenen Labrador eine Hand hin, die dieser zuerst beschnüffelte und dann seinen Kopf hineinschmiegte. Eine unmissverständliche Aufforderung für Schmuseeinheiten, das verstand sogar Greta, die wenig Erfahrung mit Hunden hatte. Vorsichtig kraulte sie ihm den Nacken, bis Fado ihr einen aufmunternden Blick zuwarf, der sie beherzter zugreifen ließ. Als Dank erntete sie ein tiefes Brummen. »Ist der immer so zutraulich?«
»Bei Frauen ja, für die hat er eine Schwäche.«
»Und ich dachte immer, Hunde würden ihren Herren ähneln.«
Mattes’ Lippen öffneten sich bereits, als wolle er zu einer passenden Antwort ansetzen, er entschied sich jedoch im letzten Moment anders und lächelte bloß. Was auf seinen ansonsten so harten Zügen ausgesprochen anziehend aussah. »Ihr Großvater stammt also von Beekensiel … Wir hatten hier mal einen Pastor namens Rosenboom, der hartnäckig Spenden für den Kirchturm und den Altar eingetrieben hat, weil er sich nicht mit dem Gedanken abfinden konnte, in einer so unbedeutenden und allmählich zerfallenden Kirche seine Predigten zu halten. Mein Großvater erzählte gelegentlich von ihm, und die alten Leute hier benutzen bis heute die Wendung ›versessener als ein Rosenboom‹, wenn man nicht ihrer Meinung ist.«
Greta konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Damit meinen sie wohl Thaisen Rosenboom. Ja, er war mein Urgroßvater.«
»Nun, das erklärt einiges.« Als Greta andeutete, den Wecken nach ihm zu werfen, hob Mattes rasch die Hände. »Damit meinte ich natürlich, warum Sie ausgerechnet im Herbst nach Beekensiel kommen, obwohl sonst jedermann die Insel meidet.«
Es kostete Greta einiges an Überwindungskraft, aber dann entschloss sie sich, Mattes gegenüber mit offenen Karten zu spielen. Aus einem ihr unerfindlichen Grund hoffte sie, dass er verstehen würde, was sie hierhergebracht hatte. Es blieb nur zu wünschen, dass sie das Risiko einging, weil Mattes ebenfalls ein Familienmensch zu sein schien, und nicht, weil sie tatsächlich ein uneingestandenes Interesse an den Tag legte, wie Arjen behauptet hatte. »Mein Großvater hat vor kurzem seinen 85. Geburtstag gefeiert und sich eine Küstenreise gewünscht. Noch einmal nach Beekensiel zu kommen war ihm besonders wichtig. Diese Reise ist auch der Auslöser dafür, dass Arjen seine in Vergessenheit geratenen Kindheitserinnerungen wiederzubeleben versucht, was ihn sichtlich Kraft kostet. Obwohl er nichts in diese Richtung erwähnt hat, glaube ich, dass damals etwas passiert ist. Etwas, mit dem Arjen erst jetzt bereit ist abzuschließen.«
Greta erschrak vor ihren eignen Worten, während Mattes verständnisvoll nickte.
»Das scheint mir eine gute Idee zu sein am Ende seiner Tage. In einem so hohen Alter ist man sicherlich eher dazu in der Lage, mit jenen Ereignissen seinen Frieden zu schließen, die einem zuvor unverwindbar schienen. Und Sie unterstützen Ihren Großvater dabei?«
Es war kaum zu
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