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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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seinem Freund hinterher, der sich die Kleidung abgestreift hatte und jetzt die ersten Wellen durchschritt. Arjen nahm sich nicht die Zeit, seine Hose auszuziehen, sondern lief direkt ins Wasser. Er hatte keine Zeit zu verlieren, er musste Ruben aufhalten. Als die Wellen seine Oberschenkel umspülten, blieb er trotzdem mit einem Schlag stehen, unfähig, sich auch nur noch einen Zentimeter zu rühren. Seine Angst vor dem Wasser war größer als die Angst um seinen Freund, der bereits mit kräftigen Armzügen schwamm, dem Drachen hinterher, der aufs offene Meer abtrieb. Während Arjens Brustkorb sich verkrampfte, als befände er sich bereits am Meeresgrund, schrie er in seiner Verzweiflung Rubens Namen. Ein einziges Mal, für mehr reichte seine Kraft nicht.
    Mein Rufen wird ihn nicht kümmern, er will diesen Drachen, das ist alles, was zählt.
    Ruben warf ihm jedoch einen Blick über die Schulter zu, und Arjen konnte nicht anders, als dazustehen und zu hoffen, dass sein Freund begriff, in welcher Lage er sich befand.
    Einmal noch streckte sich Ruben aus dem Wasser empor, um dem auf den Wellen tanzenden Drachen nachzusehen, dann machte er eine Kehrtwende. Die letzten Meter legte er gehend zurück und leckte sich den salzigen Film von den Lippen, während Arjens Lungen sich wieder mit Luft füllten. Aber erst als sein Freund in greifbarer Nähe vor ihm stand, wagte er es auszuatmen. Um Rubens Hals hing am Lederband der Walfischknochen, seine Brust hob und senkte sich, und jede einzelne seiner Rippen war sichtbar. Mit seinen Diebeszügen kann es nicht weit her sein, so mager wie er aussieht , dachte Arjen und spürte, wie das Verlangen zu lachen an seinen Lippen kitzelte, während er es nicht verhindern konnte, dass sein Blick weiter über den Körper seines Freundes hinabwanderte, bis er ihn verschämt abwandte. Auch wenn sein Name so klingt, ein Jude ist er auf jeden Fall nicht . Woran man die erkennt, hatte sogar Arjen mitbekommen.
    »Den Drachen können wir jetzt vergessen, den holen wir nicht mehr ein. Warum schwimmst du mir nicht hinterher, sondern bleibst einfach stehen?«
    »Weil ich nicht schwimmen kann«, gestand Arjen.
    »Wie? Du bist auf dieser elenden Insel geboren und kannst nicht schwimmen? Erzähl keine Märchen.«
    »Meine Mutter …« Arjen stockte. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden, die ihn nicht wie einen Jammerlappen klingen ließen. Außerdem war er es nicht gewohnt, über jenes furchtbare Ereignis zu sprechen, an das er selbst kaum eine klare Erinnerung hatte. »Es war an einem herrlichen Sommertag, nur Schäfchenwolken am Himmel und das Wasser lauwarm. So etwas gibt es hier nur ganz selten, da bleibt einem quasi gar nichts anderes übrig, als an den Strand zu gehen. Meine Mutter wollte am Ostkap mit seinen hohen Wellen schwimmen, weil man dort für sich ist, während sich alle Welt am Weststrand tummelt. Ich blieb am Strand zurück, die Brandung hat mir Angst gemacht, obwohl ich recht gut schwamm. Das war meinem Vater wichtig gewesen, da hat er sich durchgesetzt. An meiner Angst vorm Meer hat das aber nichts geändert. Thaisen ärgerte sich maßlos über meine Feigheit … Und ich glaube, deshalb ist meine Mutter überhaupt schwimmen gegangen: Sie wollte mich locken. Ich sollte sehen, wie viel Spaß man in den Wellen haben kann. So war meine Mutter, sie konnte selbst die schlimmen Dinge in etwas Wunderbares verwandeln. Oder zumindest versuchte sie es. Ich stand am Strand und schaute ihr dabei zu, wie sie sich in den Wellen vergnügte. In einem Moment winkte sie noch, und im nächsten war sie schon weg, ganz plötzlich, einfach so. Eine Strömung hatte sie unter Wasser gezogen und nicht mehr losgelassen. Schwimmen am Ostkap ist gefährlich, haben die Einheimischen uns erklärt, aber erst nachdem es passiert war. Sie haben meine Mutter erst Tage später gefunden, am Festland, ein ganzes Stück von Beekensiel entfernt. Seitdem schwimme ich nicht mehr.«
    Ruben strich sich das nasse Haar zurück. Seine Lippen färbten sich allmählich blau, aber er schien die Kälte nicht zu bemerken, auch nicht, dass die Brandung kräftig an sei nem schmalen Körper zerrte und ihn mit sich nehmen wollte. Mit zitternden Fingern nahm er den Walfischknochen ab und hängte das Lederband um Arjens Hals. »Lass uns herausfinden, ob es dein Schicksal ist abzusaufen oder zu schwimmen. Bloß herumzustehen wird dich nicht weiterbringen.«
    »Woher willst du das denn wissen?« Arjen fühlte sich in die Ecke

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