Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
nicht verraten. Wahrscheinlich wusste er es selber nicht, ansonsten wäre es diesen Häschern ja wohl kaum gelungen, ihn einzufangen und in ein Lager zu verschleppen.«
Arjen fühlte sich umso mehr bestätigt. »Jedes Geheimnis kann gelöst werden. Als Erstes müssen wir herausfinden, was das für Zeichen sind. Vielleicht ist es ja eine Art Sprache, die einem verrät, wie man vorzugehen hat. Wir sollten die Zeichen abpausen und in der Bibliothek nachschauen, ob wir in einem der Bücher über Eskimos etwas Vergleichbares finden.«
Mit einem Mal begannen Rubens Augen zu leuchten. »Ich weiß was Besseres: Wir fotografieren sie ab.«
Die Idee erschien durchaus sinnvoll, es gab nur ein Problem. »Wir haben keinen Fotoapparat, und ich kenne auch niemanden, der einen besitzt«, sagte Arjen.
»Aber ich.« Ruben lächelte breit. »Einer von den Saubermännern, von denen Haro vorhin gesprochen hat. Vor ein paar Tagen gab es hohen Besuch auf Beekensiel, der die Insel mit Staatsgeld überschütten soll. Ich hatte einen Job als Spüljunge im Sturmwind ergattert, weil Peer unter der Hand seinen Fang an den Koch verkauft, sodass ich mir das Spektakel aus nächster Nähe ansehen konnte. Abends haben die Parteileute kräftig gefeiert, und da hat Fred Denneburg Fotos gemacht. Sah zum Schießen aus, wie dieser Riesenkerl mit der Kamera rumhantiert hat.« Allein bei der Erinnerung schüttelte Ruben belustigt den Kopf. »Jedenfalls hat Denneburg ein Mordsspektakel um den Apparat gemacht, niemand außer ihm durfte das werte Stück anfassen. Den leihen wir uns einfach mal aus, und dann machen wir Aufnahmen vom Walfischknochen.«
15
Übernächtigt stolperte Greta die Stufen hinab zur Rezeption, wobei sie in das Zimmermädchen lief, das, beladen mit einem Stapel frischer Bettwäsche, nur schlecht ausweichen konnte.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Greta, »aber so früh am Morgen ist mein Blick noch ganz benebelt.« Tatsächlich waren ihre Augen gerötet und scheuerten bei jedem Blinzeln. Sie hatte Schlafmangel noch nie ohne weiteres verwunden.
Birte starrte auf den schiefen Turm in ihren Armen. Das honigfarbene Haar trug sie streng zurückgebunden, und ihre Unterlippe war wund, als neige sie dazu, bei Stress auf ihr herumzubeißen. »Schon gut, es war meine Schuld. Entschuldigung.«
Dieses Eingeständnis kam nicht bloß wie aus der Pistole geschossen, sondern entsprach schlicht nicht der Wahrheit. Bevor Greta das jedoch richtigstellen konnte, huschte das Zimmermädchen weiter, mehr Hausgeist als eine junge, gut aussehende Frau. Da stimmt doch was nicht , entschied Greta, wusste dann aber nicht, was sie mit dieser Einsicht anfangen sollte. Mehr als alles andere brauchte sie jetzt einen extrem starken Kaffee, doch der Frühstücksraum war bereits verwaist und das Buffet abgebaut. Der Blick auf die Standuhr verriet, dass es bereits nach zehn war, obwohl lediglich diesiges Licht durch die Fenster fiel. Es würde ein regnerischer Tag werden – so viel stand fest.
»Moin.« Trude lugte um die Ecke, einen Stapel Papiere in den Händen. »Na, haben Sie ein wenig geschlafen nach all der Aufregung?«
»Sieht ganz so aus«, gestand Greta widerwillig ein. »Dabei hätte ich schwören können, dass ich bloß für einige Sekunden die Augen geschlossen habe. Ich wollte mir bloß einen Kaffee holen und dann bei Arjen reinschauen.«
Doch Trude winkte ab. »Den Gang können Sie sich sparen, ich war vor knapp zehn Minuten bei Ihrem Großvater. Er schläft wie ein Stein, seit das Fieber gesunken ist, offenbar schlägt das Antibiotikum ausgezeichnet an. Gönnen Sie ihm seine Ruhe und sich selbst einen Kaffee. Die letzten Tage sind auch an Ihnen nicht spurlos vorbeigegangen. Wollen Sie sich zu mir in die Küche setzen? Dann können wir schnacken, während ich die Buchhaltung mache. Unter uns gesagt, ich hasse diesen ganzen Bürokram, aber es bleibt einem ja nichts anderes übrig. Es meldet sich ja niemand freiwillig. Ein wenig Gesellschaft hilft da immens.«
Trude blinzelte so verschwörerisch, dass Greta allein deshalb schon zugesagt hätte. Und sie tat es noch lieber, weil die Besitzerin des Sturmwind sie tatkräftig unterstützt hatte, nachdem sich Arjen bei ihrem Spaziergang am Nordstrand eine Erkältung zugezogen hatte. Obwohl er ihr seit den ersten Symptomen durchgehend versicherte, dass es nicht ihre Schuld war, sondern dass Tattergreise sich nun einmal im Herbst eine Erkältung zuzogen, fühlte sie sich für seinen Zustand
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