Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Claußen gestern Abend beim Rumschnüffeln in seinem Garten geschnappt, der Kerl hat wohl nach einer Möglichkeit gesucht, ins Haus zu gelangen. Damit ist jetzt jedenfalls Schluss, sie haben diesen dreisten Bengel heute Vormittag bereits aufs Festland gebracht, sollen sich die Behörden dort mit ihm herumschlagen.«
»Ruben ist fort …« Arjens Stimme versagte endgültig.
»Und Peer Hinrichs haben sie ebenfalls festgenommen, der soll wohl irgendwie seine Finger im Spiel gehabt haben. Ich will gar nicht wissen, wie diese kriminellen Zusammen hänge aussehen, alles gottloses Zeug. Damit machen wir uns nicht die Finger schmutzig – und mit ›wir‹ meine ich auch dich, Arjen Rosenboom. Wir beide werden nie wieder auch nur ein Wort über diese unselige Geschichte verlieren, wir legen einen Mantel des Schweigens über deine Schande und beten, dass Fred Denneburg sich an unsere Absprache hält, damit du nicht in diese Angelegenheit mit hineingezogen wirst. Und vom heutigen Tag an wird es für dich nur noch zwei Orte geben, an denen du dich aufhältst: in der Schule und hier im Haus. Deine Freiheit gehört genau wie mein Vertrauen in dich der Vergangenheit an. Verstanden?«
Während sein Vater die Worte wie vergiftete Pfeile abschoss, hatte sich Arjen zur Treppe vorgetastet. »Daran werde ich mich ab morgen halten, aber jetzt muss ich noch einmal fort. Jetzt gleich.«
»Du wagst es nicht, mir zu widersprechen, du verdorbener Bengel, du frecher …«
Den Schimpfnamen, mit dem Thaisen ihn bedachte, hörte Arjen nicht mehr, er hatte sich bereits die Stufen hinabgeschwungen und rannte zur Tür hinaus in die ständig zunehmende Dunkelheit. Das harte Aufschlagen seiner Füße hallte ihm bis in den Schädel, seine Lunge begann vom Lauf zu brennen, und schon bald beschwerten sich seine Knie über den unebenen Grund des Waldbodens. Doch Arjen kümmerte all das nicht, viel mehr noch: Er genoss den Schmerz, wünschte ihn sich stärker, so stark, dass er seine inneren Qualen überdeckte. Ruben war fort, sie hatten ihn am Ende des Sommers gestellt und fortgebracht. Er hatte seinen einzigen Freund verloren. Er war allein. Endgültig.
Die Lichtung zwischen den Birkenstämmen lag, wie erwartet, verlassen da. Aus der grob zusammengeschusterten Hütte drang kein Licht, nur vom Verschlag her erklang ein freudiges Jaulen. Ohne eine Spur von Angst öffnete Arjen das Gatter und ließ Pirat heraus, der ihn freudig anstupste. Arjen fiel neben ihm auf die Knie und verbarg sein Gesicht im struppigen Fell des Hundes. Als er zu schluchzen anfing und seine Finger sich wie von allein ins Fell gruben, hielt Pirat still, als könne er Arjens Unglück begreifen. Und tatsächlich war es der Gedanke, dass ihm wenigstens dieser eine Verbündete geblieben war, der Arjen schließlich wieder aufstehen ließ. Er hatte Pirat, um den er sich kümmern musste. Und er hatte den Walfischknochen. Gut, es war ihnen gelungen, Ruben einzufangen, und vermutlich würden sie ihn in ein Erziehungsheim stecken, aber er würde früher oder später nach Beekensiel und somit zu Arjen zurückkehren, weil hier sein Schicksal auf ihn wartete. Ich werde der Hüter sein, genau wie er es gesagt hat , beschloss Arjen.
»Und Ruben war wirklich fort?« Greta konnte es nicht fassen, dass diese Geschichte so unvermittelt enden sollte. Waren sie deshalb auf Beekensiel, weil Arjen tief in seinem Innersten immer noch auf seinen Freund wartete?
Ihr Großvater nippte an einem Glas Wasser, das Erzählen hatte ihn sichtlich mitgenommen. »Ja, es hat sich alles genau so abgespielt, wie Thaisen es von Denneburg erfahren hatte: Jörg Claußen hatte Ruben gestellt und sich als Rechtsanwalt sofort um die notwendigen Schritte gekümmert. Peer Hinrichs haben sie aus dieser Geschichte einen Strick gedreht, vermutlich hatte man nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihn loszuwerden. Eigenbrötler waren nie sonderlich beliebt auf Beekensiel.«
»Aber Pirat …«
Ein Grinsen schlich sich auf Arjens hagere Züge. »Den habe ich mit nach Hause genommen. Mein Vater hat gewütet wie noch nie zuvor, aber ich habe keinen Zentimeter nachgegeben. Hätte Thaisen darauf bestanden, dass ich den Hund wegbringe, wäre ich mit ihm ausgebüchst, und das hat mein Vater vermutlich geahnt. Nach der ganzen Aufregung wollte er eine weitere Auseinandersetzung gewiss vermeiden. Seltsamerweise war Thaisens und mein Verhältnis nach dieser ganzen Angelegenheit besser als zuvor, es war, als hätte er mich mit einem Schlag
Weitere Kostenlose Bücher