Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
auf den Rücken gelegt, doch Ruben war bereits wieder auf den Beinen und reichte ihm die Hand, um ihn hochzuziehen.
»Ich muss gleich los, aber vorher will ich noch ein Foto von dir machen. Also los, stell dich hin und versuch ausnahmsweise einmal intelligent auszusehen.«
»So eine Drängelei«, maulte Arjen, der nichts davon hören wollte, dass Ruben ihn gleich verlassen würde. Widerwillig nahm er Haltung an. Die Vorstellung, fotografiert zu werden, gefiel ihm nicht. Bestimmt hatte Ruben recht, und er würde wie ein Depp aussehen. »Bist du dir sicher, dass du mit der Kamera zurechtkommst? Wir sollten sie Fred Denneburg unbedingt in einem Stück zurückgeben, der wird ohnehin außer sich sein vor Zorn.«
»Arjen?«
»Ja?«
»Könntest du jetzt endlich mal den Mund halten und dich vernünftig hinstellen?«
Arjen schluckte seine Antwort hinunter und warf seinem Freund lediglich einen Blick zu … Nur um zugleich seine Sorge und sein Missfallen zu vergessen. Ruben stand aufrecht da, das Objektiv einstellend, wobei seine Zungenspitze in den Mundwinkel wanderte, wie stets wenn er sich konzentrierte. In diesem Moment bereute Arjen es zutiefst, nicht derjenige mit der Kamera zu sein. Zu gern hätte er Ruben nach ihrer Kabbelei verewigt, als Erinnerung daran, was sein Freund ihm bedeutete. Doch da drückte Ruben bereits den Auslöser, ohne dass der Film weitersprang.
»Mist«, schimpfte Ruben. »Das war das letzte Bild auf der Rolle, ich kann nur noch zurückspulen.«
Ebenfalls enttäuscht, dass der Spaß nun vorbei war, nahm Arjen ihm die Leica ab und spulte den Film zurück, ehe er die Patrone herausnahm und sie in die Schnupftabakdose legte, in der er eigentlich Kleingeld aufbewahrte. Thaisen hatte vor einigen Monaten dem Schnupftabak abgeschworen, weil er ihm Herzrasen verursachte, und Arjen hatte die Messingdose mit dem Kreuz auf dem Deckel an sich genommen. Zu seiner Erleichterung passte die Patrone wie angegossen hinein.
Immer noch fluchend hängte Ruben sich die Kamera über die Schulter. »Ich werde zusehen, dass Denneburg seinen Schatz zurückbekommt, vielleicht vergisst er darüber ja, uns die Hammelbeine langzuziehen.«
Obwohl Arjen sich das nur schwer vorstellen konnte, brummte er zustimmend. Ihm lag noch etwas anderes am Herzen, das er bislang noch nicht auszusprechen gewagt hatte. »Wenn du damit einverstanden bist, nehme ich den Walfischknochen bis morgen mit zu mir. Ich habe überlegt, die Zeichen mit Brotpapier und einem Bleistift abzupausen. Bis wir den Film samt Abzügen haben, wird es sicherlich eine Weile dauern, und so habe ich schon mal was zur Hand, wenn die Schule wieder losgeht und ich die Bibliothek besuchen kann.« Bei dem Gedanken an das neue Schuljahr fühlte er, wie sich sein Bauch nervös anspannte, denn es bedeutete, dass er seinen Freund unter der Woche nur noch selten zu sehen bekommen würde.
Ruben blickte zum Walfischknochen, der immer noch auf dem Stein lag, auf dem sie ihn für die Aufnahmen postiert hatten. »Nimm ihn ruhig. Wenn ich dir nicht mein Schicksal anvertrauen kann, wem dann?«
Arjen zeigte ihm einen Vogel und hoffte zugleich, dass sein Freund ihm nicht ansah, wie stolz er auf diesen Vertrauensbeweis war. Falls Ruben es bemerkte, war er gnädig genug, um damit hinterm Berg zu halten. Er strich sich Grashalme vom Hinterteil und pfiff nach Pirat, um ihn zu seinem Verschlag zu bringen. »Ich komme morgen Mittag bei dir vorbei, sobald eure Haushälterin zur Tür raus ist, obwohl ich wirklich gern einmal neben ihr am Tisch sitzen würde. An der ist alles so schön rund.«
»He, pass auf, was du sagst!« Arjen hob drohend den Zeigefinger.
Mit einem frechen Grinsen salutierte Ruben, dann wendete er sich zum Gehen. »Halt die Ohren steif, du Schicksalshüter.«
Arjen schaute seinem Freund nach, bis er zwischen den Birken verschwunden war.
Der folgende Tag sollte einer der zähsten werden, die Arjen je erlebt hatte. Die Mittagszeit ging vorbei, ohne dass Rubens heller Schopf vor dem Fenster auftauchte, und auch der Nachmittag verrann ereignislos. Arjen saß im Schatten des Kirschbaums und spielte mit dem Walfischknochen, den er um den Hals trug. Seinen Versuch, in einem Buch zu lesen, hatte er nach einigen Seiten aufgegeben, weil ohnehin keins der Worte zu ihm durchdrang. Er konnte nur an Ruben denken. An Ruben, der ihre Verabredung nicht eingehalten hatte. Und wenn er Fred Denneburg beim Versuch, den Fotoapparat zurückzubringen, in die Hände gefallen war? Doch
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