Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
mit dem Gedanken, Mattes darauf anzusprechen, entschied sich dann jedoch anders. Mattes erinnerte sie immer mehr an Arjen: Man erfuhr mehr über das Innenleben der beiden Männer, wenn man ihnen ihr eigenes Tempo zugestand. Mattes war niemand, der sich drängen ließ, sonst schaltete er auf stur, während Arjen kunstvoll das Thema wechselte. Deshalb lächelte sie Mattes bloß an. »Das wäre großartig, mein Großvater wäre gewiss begeistert.«
»Na, dann.«
Mattes’ Versuch, gleichmütig dreinzublicken, misslang, das Leuchten in seinen Augen war nicht zu übersehen. Als sie es wahrnahm, schlug Gretas Herz schneller. Es war also nicht sie allein, die die Anziehungskraft zwischen ihnen spürte … Sie nahm ihr Weinglas und stieß mit Mattes an, in dessen Augen in diesem Moment das Blau das Grau beiseiteschob, als würde ein Schleier gelüftet. Draußen fuhr der Wind um die Häuser, jagte in den Kamin und brachte das Feuer zum Knistern.
18
Schon am späten Abend, als Mattes die vom Rotwein beschwipste Greta zum Hotel begleitet hatte, war der Sturm am Abklingen gewesen. Glücklicherweise hatte sich Mattes bereits auf dem Marktplatz verabschiedet, denn seine Tante Trude stand mit einer Bekannten plaudernd in der Rezeption und musterte Greta mit vielsagendem Blick, als sie sich mit geröteten Wangen vorbeischummeln wollte. Gekonnt ließ Greta alle Anspielungen, wo sie wohl den Abend verbracht habe, an sich abprallen. Zu ihrer Erleichterung erklärte Trude schließlich, dass bei Arjen alles gut sei und er schlafe – somit konnte sie direkt auf ihr Zimmer wanken, anstatt ihren Großvater noch zu Tode zu erschrecken, indem sie über seine Hausschuhe stolperte und der Länge nach auf den Boden fiel. Am frühen Morgen, als Greta wieder Herrin ihrer Sinne war und ihrem Großvater einen Besuch abstattete, ging draußen nicht einmal mehr ein Windchen. Dafür hatte sich nach der fühlbaren Abkühlung dichter Nebel über die Insel gelegt, sodass man von Arjens Fenster aus kaum die Kaimauer sah.
»Guten Morgen, mein Kind. Warum bist du denn schon so früh am Morgen auf den Beinen?«
Greta, die am Fenster gestanden hatte, fuhr erschrocken herum. Sie hatte gedacht, Arjen würde noch schlafen. »Herr gott, da schleiche ich auf Zehenspitzen umher, dabei bist du längst wach. Hast du dir wegen Anette antrainiert, so überzeugend den Schlafenden zu geben, um ungestört im Lesesessel zu faulenzen?«
Arjen lachte heiser. »Durchaus denkbar, obwohl ich natürlich nie mit Absicht eine solche Taktik ausgeklügelt hätte. Schließlich bin ich ein Ehrenmann. Ich schließe eben nur ganz gern die Augen, wenn ich über etwas nachdenke.«
»Und worüber denkst du so früh am Morgen nach, anstatt zu schlafen und dich weiter zu erholen?« Die Frage geriet schärfer als beabsichtigt, aber als Greta ans Bett trat, bemerkte sie das nass geschwitzte Bettzeug. Egal was er behauptete, es ging ihm noch nicht wesentlich besser.
»Über was denken alte Männer schon nach, wenn sie überdeutlich spüren, dass ihnen die Zeit davonläuft?«
»Ich war gestern Abend noch bei Mattes Ennenhof«, platzte es aus Greta heraus. »Mir ist schon bewusst, dass du nicht viel auf die Familie Ennenhof gibst, aber ich habe das Gefühl, dass Mattes aus der Art schlägt. Vermutlich hängt das mit seiner Mutter Rose zusammen, die wohl kein Stück nach diesem habgierigen Haufen schlug.«
»Rose … Adeles Tochter, ja?« Arjen setzte sich im Bett auf und strich sich das wirre Haar zurück. »Das Mädchen hat sich also zu einer schwierigen Persönlichkeit im Kreis der Ennenhofs entwickelt … Überrascht mich nicht.«
»Du kennst Mattes’ Großmutter? Ja, warum auch nicht, schließlich ist Beekensiel ein Nest.«
»Das stimmt, aber ich kannte Adele lediglich vom Sehen, weil sie mindestens drei Jahre älter war als ich. Allein deshalb trennten uns Welten. Außerdem war Adele Claußen – so hieß sie mit Mädchennamen – das mit Abstand schönste Mädchen auf der Insel. Das ebenholzfarbene Haar hat Mattes eindeutig von ihr. Ihr Vater war damals Bürgermeister von Beekensiel und ein ziemlicher Opportunist, wenn ich mich recht erinnere. Anders ließ sich auch gar nicht erklären, warum ein stolzes Wesen wie Adele einen Ennenhof geheiratet hätte. Bestimmt steckte irgendein schmutziges Geschäft dahinter.«
»Du hast sie gemocht«, stellte Greta verblüfft fest.
»Adele war etwas Besonderes.«
Mehr war aus Arjen an diesem Morgen nicht herauszubekommen, er hing
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