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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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kann ich mit Sicherheit sagen: Zu keinem Zeitpunkt haben wir den anstehenden Fall diskutiert, und obwohl wir unser kameradschaftliches Zusammensein wie immer genossen, glaube ich sagen zu können, dass Holmes das Thema bewusst vermied. Innerlich war er immer noch aufgewühlt. Der Tod von Ross lastete schwer auf ihm und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
    Noch ehe wir uns zum Frühstück setzten, hatte Holmes bereits seine Visitenkarte nach Ravenshaw Hall geschickt und um eine Audienz gebeten. Die Antwort kam denn auch bald. Der neue Lord Ravenshaw hatte noch einiges zu erledigen, würde sich aber freuen, uns um zehn Uhr zu empfangen.
    Wir waren an Ort und Stelle, just als es von der Dorfkirche her zehn Uhr schlug. Durch die Einfahrt gingen wir zu einem hübschen elisabethanischen Herrenhaus aus Cotswold-Steinen hinauf, dessen riesige Rasenflächen im Morgenfrost glitzerten. Unser Freund, der Rabe mit den zwei Schlüsseln, begegnete uns sowohl auf den Säulen des Haupttors als auch über dem Haupteingang. Wir hatten den angenehmen kleinen Spaziergang von unserem Gasthof zu Fuß unternommen, aber als wir uns näherten, sahen wir eine Kutsche, die vor dem Haupteingang stand, und kurz bevor wir das Tor erreichten, huschte ein Mann aus dem Haus, kletterte in die Karosse und schlug die Tür hinter sich zu. Der Kutscher gab den Pferden die Peitsche, und einenAugenblick später ratterte das Gefährt an uns vorbei die Auffahrt hinunter. Aber ich hatte den Passagier erkannt. »Holmes«, sagte ich. »Diesen Mann kenne ich.«
    »In der Tat, Watson. Das war Mr. Tobias Finch, nicht wahr? Der ältere Teilhaber der Galerie Carstairs & Finch in der Albemerle Street. Ein doch sehr bemerkenswerter Zufall, finden Sie nicht?«
    »Ja, ein bisschen merkwürdig ist das durchaus.«
    »Vielleicht sollten wir das Thema sehr behutsam behandeln. Wenn es Lord Ravenshaw für nötig befindet, Erbstücke aus seinem Haus zu verkaufen –«
    »Vielleicht kauft er ja auch.«
    »Das wäre auch eine Möglichkeit.«
    Wir zogen die Türklingel und wurden von einem Bediensteten eingelassen, der uns durch die Eingangshalle in einen Salon von wahrhaft feudalen Ausmaßen führte. Die Wände waren bis in Schulterhöhe mit Eichenpaneelen bedeckt, darüber hingen Familienporträts. Die Decke war so hoch, dass kein Besucher gewagt hätte, in diesen Räumen die Stimme zu heben, weil er fürchten müsste, dass ihn der Widerhall übertönte. Die gotischen Fenster waren mit Mittelpfosten versehen und sahen auf einen Rosengarten und einen Wildpark hinaus. Um den massiven, ebenfalls mit Raben und Schlüsseln geschmückten Kamin, in dem ein krachendes Feuer aus unzureichend getrocknetem Holz brannte, waren ein Sofa und ein paar Sessel gruppiert. Lord Ravenshaw stand davor und schien sich die Hände zu wärmen.
    Mein erster Eindruck war nicht unbedingt günstig. Er hatte silbernes, straff zurückgekämmtes Haar und ein unattraktives, rotes Gesicht. Seine Augen quollen dramatisch hervor, und ich hatte den Eindruck, dass das mit einer Fehlfunktion der Schilddrüse zu tun haben könnte. Er trug ein Reithabit und Lederstiefel, und unter dem linken Arm klemmte die Reitpeitsche. Noch bevor wir uns vorgestellt hatten, schien er ungeduldig, und man hatte den Eindruck, dass er uns wieder loswerden wollte.
    »Mr. Sherlock Holmes«, sagte er. »Ja, ja, ich glaube, ich habe von Ihnen gehört. Sie sind Detektiv? Ich kann mir kaum vorstellen, was Ihre Tätigkeit mit meiner zu tun haben sollte.«
    »Ich habe etwas, was möglicherweise Ihnen gehört, Lord Ravenshaw.« Man hatte uns nicht eingeladen, uns hinzusetzen. Holmes zog die Uhr aus der Tasche, ging auf den Hausherrn zu und zeigte sie ihm.
    Ravenshaw nahm sie und wog sie einen Augenblick in der Hand, als wäre er gar nicht sicher, ob sie ihm gehörte. Erst allmählich schien ihm zu dämmern, dass er sie kannte. Er fragte sich offenbar, wie Holmes in ihren Besitz gelangt war, freute sich aber, dass er sie wiederhatte. Bei alledem sprach er kein Wort, aber seine Gefühle drückten sich so deutlich in seinem Gesicht aus, dass selbst ich kein Problem dabei hatte, sie zu erraten.
    »Nun, ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte er schließlich. »Ich liebe diese Uhr sehr. Meine Schwester hat sie mir geschenkt, und ich hatte schon befürchtet, ich würde sie nie wiedersehen.«
    »Mich würde interessieren, wie Sie die Uhr verloren haben, Lord Ravenshaw.«
    »Das kann ich Ihnen genau sagen, Mr. Holmes. Es ist in London passiert, im Sommer. Ich

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